Ununterbrochen rinnt die Zeit: das Vorher wird zum Nachher, das Jetzt zur abgeschlossenen Vergangenheit. Doch es gibt Augenblicke, in denen die Zeit ihre Fließrichtung zu verlieren scheint. Plötzlich steht sie still und rast zugleich, sie dehnt sich in alle Richtungen aus, bleibt offen und veränderlich. Dieser Zustand der verdichteten Zeitwahrnehmung ist der Ausgangs- und Endpunkt von miscontinuum, das im Rahmen der von Jan St. Werner konzipierten vierteiligen Veranstaltungsreihe Das Asymmetrische Studio im Kunstverein München e.V. uraufgeführt wird. Der Protagonist des Stückes tritt aus seinem alltäglichen Leben heraus und erkennt, dass er – von der Linearität der Zeit befreit – nicht nur die Gegenwart, sondern auch seine eigene Vergangenheit verändern und modulieren kann. Vor ihm eröffnet sich ein Feld unendlicher Möglichkeiten, ein Zeit-Raum, in dem sich Klänge, Worte und Bilder neu verknüpfen und wechselseitig kommentieren. Und so, wie stets in der Schwebe bleibt, ob dieser Zustand tatsächlich nur eine Sekunde oder ein ganzes Leben andauern kann, bleibt auch bis kurz vor der Uraufführung im Kunstverein München offen, wie lange das Stück letztlich dauern soll. Indem miscontinuum aus kleinsten Fragmenten besteht, die je nach Aufführungskontext variiert und neu zusammengesetzt werden können, entsteht ein zeitlich flexibler, multisensueller Wahrnehmungsraum: Abstrakte, unendlich variierte Muster erscheinen als Projektionen auf den Wänden des Kunstvereins, elektroakustische Klänge und Geräusche fluktuieren frei im Raum umher, verdichten sich zeitweise zu mikroskopischen Fragmenten, um sich schließlich wieder auszudehnen und ins Unermessliche anzuwachsen. Dabei oszillieren die Kompositionen zwischen den Kategorien Rhythmus und Harmonie, zwischen Krach und Struktur, sie gleichen einer Öffnung, durch die man einen Zeit-Raum betreten kann, in dem die Hörer gänzlich vom Klang umfangen und durchdrungen werden. Musikalische Bezüge und Assoziationen sind unter anderem bei der Spektralen und Konkreten Musik zu finden. Menschliche Stimmen haben keine erzählerische Funktion, sondern werden wie Instrumente eingesetzt. Dennoch besitzt miscontinuum wie in einer klassischen Oper ein Libretto, wenn dieses auch nicht gesungen, sondern vorgelesen wird. So findet in dieser dekonstruierten Idee der Oper, wie auch in der daraus entstehenden radiophonen Neukomposition von miscontinuum nicht das Pompöse und Monumentale einen Raum, sondern die Konzentration und Reduktion auf den momentanen Ausbruch aus dem Kontinuum der Zeit.
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