Sie ist eine Frau, auch wenn ihr Vater sie Mike genannt hat: Detective Mike Hoolihan. Sicher, nicht gerade eine Elfe mit ihren Einsachtundsiebzig, ihren fast achtzig Kilo, ihren blondgefärbten Haaren und der Stimme einer Kettenraucherin. Wenigstens wirft sie so schnell nichts um. Und in fast zwanzig Jahren bei der Polizei hat sie einiges wegstecken müssen. - Trotzdem sollte ausgerechnet der Selbstmord von Jennifer Rockwell ihr schlimmster Fall werden. Nicht bloß, weil drei Kugeln im Kopf nicht gerade auf Selbstmord hindeuten. Nicht bloß, weil sie sie gekannt hat, seit sie acht war. Nicht bloß, weil sie die Tochter von Colonel Tom Rockwell war, ihrem Chef in der Mordkommission, der sie damals aus dem Suff rausgeholt hat. Und nicht bloß, weil sie ihm vielleicht deswegen nur zu gern seinen Wunsch erfüllen würde, ihm einen Mörder zu präsentieren. Einen richtigen Mörder, der diese schöne und hochintelligente Astrophysikerin, diesen Sonnenschein von Tochter auf dem Gewissen hat. Aus Neid auf ihre Begabung zum Beispiel. Auf ihre Karriere an der Universität. Auf ihre schlichte Lebenskraft. Einen Mörder, an den man sich halten kann. Besser jedenfalls als an dieses Loch, an diesen klaffenden Abgrund. Besser als an eine Verzweiflung, von der man nie etwas geahnt zu haben meint. - Es ist etwas anderes, es ist dieses Gefühl, was alles so schlimm macht. Dieses Gefühl, dass jemand in mir drin ist, wie ein Eindringling, der seine Taschenlampe hin und her schwenkt. Jennifer Rockwell ist in mir drin und will das beleuchten, was ich nicht sehen möchte. Während draußen der Nachtzug vorbeidonnert und den Boden unter den Füßen zittern lässt.
hoerspielTIPPs.net:«Ein Krimi, in dem der Fall an sich fast zur Nebensache gerät. Hier steht die Hauptperson, ihre Gefühls- und Gedankenwelt, so im Mittelpunkt, dass man bald erkennt, dass sich der Fall auch nur hierüber weiterentwickelt. Keine leichte Krimikost, und vom Thema her auch sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Empfehlen kann ich daher ´Night Train´ nur denen, die sich auf diese Reise in die Gedankenwelt der Kommissarin einlassen wollen, und in Kauf nehmen, dass die Krimi an sich nur eine geringfügige Rolle einnimmt.»
Vorstellung im OhrCast
Ursendung: 10.09.2000
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