Wie ein Meteorit schlug Célines Erstling im Jahre 1932 ein. Von der Kritik sogleich als ein Meisterwerk der französischen Literatur begriffen - und auch als Meisterwerk der Weltliteratur -, galt sein Autor, mit bürgerlichem Namen Louis-Ferdinand Destouches (1894-1961), fortan als einer der bedeutendsten Autoren des Zwanzigsten Jahrhunderts. Ein literarischer Fixstern, der so manchem den Weg wies. Und das, obwohl er später forsch und uneinsichtig die Abwege des schlimmsten Antisemitismus´ betreten sollte. Auch heute noch erfüllt Célines gewaltiger Roman ´Voyage au bout de la nuit´ all die zahllosen, ihm zugeschriebenen Attribute mühelos mit Leben: Er lässt sich als Monument menschlicher Zerrissenheit lesen wie auch als Hymne auf die Anarchie, als Tirade auf den Ekel wie als permanente Ohrfeige für jeden und alles, als bombastische Dekonstruktion aller Werte oder, wie Céline selbst schrieb, gar als Zeugnis eines kompletten Deliriums. Isak Grünberg, Autor der ersten deutschen, bereits 1933 erschienenen (allerdings vom Verlag verstümmelten) Übersetzung, sah in diesem Roman ´ein Bombenattentat, gerichtet nicht gegen einzelne glänzende, aber längst unterhöhlte Paläste, sondern gegen den ganzen Bau unserer Menschenwelt. ... Ein schriller Schrei, der unliebsam in den Schlaf der Schläfer klingelt.´ Philip Roth präzisiert: ´Um die Wahrheit zu sagen: Mein ´Proust´ in Frankreich, das ist Céline! Er ist wirklich ein sehr großer Schriftsteller und ein großer Befreier.´ Die euphorischen Reaktionen anlässlich der ersten vollständigen und adäquaten deutschen Übersetzung durch Hinrich Schmidt-Henkel schrieben diese Sichtweise fort. In seinem Artikel versteht Andreas Isenschmid (Die Zeit, 22.5.2003) etwa die Lebensreise des Protagonisten, des Medizinstudenten und späteren Arztes Bardamu, durch den Ersten Weltkrieg, psychiatrische Kliniken, französische Kolonien in Afrika, nach New York und zurück in die französischen Vorstädte als Erkundung des von Freud beschriebenen Todestriebes: ´Es gibt wohl nicht viele Romane, die die gesellschaftliche Dunkelheit der Zwischenkriegszeit in so enzyklopädischer Totalität und so bedrückend von unten, aus der Sicht der Erniedrigten zeigen.´
Teil 2:
Bardamu, Held, besser Anti-Held dieses gewalttätigen Antikriegsromans, gerade noch dem blutigen Gemetzel des Ersten Weltkriegs entkommen, muss schon bald feststellen, dass auch die Heimatfront allerlei Gefahren birgt. Nahtlos geht sein Albtraum in der Pariser Etappe weiter: ein Ende der kruden Selbstzerfleischungen der menschlichen Spezies ist nicht in Sicht. Durch eine eher unfreiwillige ´Flucht´ in die Psychiatrie, wo ihm ausgerechnet der verlorengegangene Patriotismus aufs eifrigste und mit den neuesten wissenschaftlichen Methoden eingebläut wird, vermag er zumindest dem erneuten Kriegseinsatz zu entgehen - für einen Moment. Danach bleibt ihm nur, schnell weiter zu reisen - nach Afrika: ´Irgendwann schließlich ließen die Bonzen mich laufen, so kam ich mit heiler Haut davon, aber mein Kopf hatte schwer was abgekriegt, und das war für immer. Nichts zu wollen. Je weiter weg, desto besser! Ich bestieg irgendeinen Kahn der Schifffahrtsgesellschaft ´Vereinigte Korsaren´, und los gings. Er fuhr in die Tropen, denn genug Geld, um nach Amerika zu reisen, hatte ich nicht. Na gut, dann also Afrika!
-Teil 3
Beeindruckend ist nicht nur die nihilistische Radikalität von Célines Welt- und Werteverachtung, sondern auch sein revolutionäres Umsetzen gesprochener Sprache in hochrangige Prosa, sein Mix aus Pariser Argot, aus Hochsprache, Fachsprache und ideologischen Worthülsen: Schriftsprache und zerbrochene Sätze, Grobheiten und feinste Satire, wohlanständige Sprechblasen und tiefschürfende Unmittelbarkeit prallen nahezu ungeschützt aufeinander und erzeugen einen unwiderstehlichen Sog, einen Drive, der die Sprache sprengt und dadurch freisetzt: ´Das Militär, das noch blöder war als die Kaufleute und die Beamten, fraß den Ruhm der Kolonien in sich hinein und würzte ihn, damit er runterging, mit jeder Menge Chinin und kilometerlangen Dienstvorschriften. ... Ewig und erbittert fochten sie persönliche und kollektive Feindseligkeiten aus, Militär gegen Verwaltung, diese gegen die Händler, außerdem die einen, auf Zeit vereint, gegen die anderen, dazu alle gegen die Neger und die Neger untereinander auch. Die wenige Energie also, die nicht von Sumpffieber, Durst und Sonne verbraucht wurde, ging durch hasserfüllte Zänkerei dahin, so verbissene und giftige, dass viele Kolonisten schließlich an Ort und Stelle krepierten, wie Skorpione am eigenen Gift verreckt...
Teil 4
´Für einen armen Schlucker ist es nie so leicht, irgendwo von Bord zu gehen, aber für einen Galeerensklaven ist es noch viel schlimmer, vor allem, weil die Amerikaner Galeerensklaven aus Europa absolut nicht mögen. Eigentlich wollen sie nur Neugierige aufnehmen, die Knete ins Land bringen, denn sämtliche Währungen Europas sind für sie nur Söhne des Dollars. Das Sträßchen, das ich gewählt hatte, war wirklich das schmalste von allen, nicht breiter als bei uns ein besserer Bach, und elend dreckig war es eigentlich auch, sehr feucht, voller Dunkelheit, und hier gingen schon derart viele andere Leute, kleine und große, dass sie mich mitnahmen, als wäre ich ein Schatten. Sie gingen in die Stadt, wahrscheinlich zur Arbeit, die Nase zu Boden gerichtet. Es waren die Armen aus aller Welt.´ (Louis-Ferdinand Céline, ´Reise ans Ende der Nacht´)
´Der ganz besondere Stil, der Mut des Autors zu dieser anarchisch motivierten Deregulierung sprachlicher Verbindlichkeiten, die Summe der in Kauf genommenen Stilbrüche machen das Werk in jeder Hinsicht zu einer singulären Erscheinung.´ (Thomas Laux in der NZZ, 7.5.2003)
Teil 5
´Können Sie mir etwas Beruhigendes über die Zukunft unserer Vernunft sagen, Ferdinand? ... Oder auch nur über die Zukunft des gesunden Menschenverstandes? ... Was soll vom gesunden Menschenverstand denn übrig bleiben, wenn es so weitergeht wie bisher? Nichts! Das ist doch ganz klar! Absolut nichts! Das sag ich Ihnen voraus ... Das ist ganz deutlich ...?´ (Louis-Ferdinand Céline, ´Reise ans Ende der Nacht´)
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 14.03.2008
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