Als am 20. Februar 1823 morgens um acht eine junge Frau den Assessor Dr. Ernst Büchner, Mediziner und Vater von Georg Büchner, mit der Bitte aufsucht, ihr den Magen aufzuschneiden, da sie allerhand Steck-, Strick- und Stopfnadeln gegessen habe, um sich aus Liebeskummer das Leben zu nehmen, kann er sich des Lachens kaum erwehren. Doch die Geschichte sollte sich als wahr erweisen. Mit nahezu aufreizender Nüchternheit schildert Ernst Büchner diesen äußerst kuriosen klinischen Fall 1823 im 6. Band der "Zeitschrift für die Staatsarzneikunde".
Durch Verabreichung von allerhand Emulsionen und Pillen gelang es, die Patientin schadlos zu halten, indem sie sämtliche Nadeln wieder ausschied. Als Zweifel an der Geschichte seiner Patientin auftauchten, unternahm Ernst Büchner selbst Versuche an einem eigens dafür angeschafften Dachshund. Pedantisch wurde protokolliert, was der Hund wann zu fressen bekam, wieviele Stecknadeln unter seine Nahrung gemischt waren und wann wieviele davon wieder ausgeschieden wurden. Schließlich wurde der Hund erschlagen und sein Magen geöffnet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der junge Georg, zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alt, Zeuge dieser Unternehmungwurde.
Schon nach kurzer Zeit erschien die Dame erneut und behauptete 200 weitere Stecknadeln gegessen zu haben, als Büchner das bezweifelte, erklärt die Frau sich bereit, vor Zeugen beliebig viele Stecknadeln zu essen. In Einvernehmen mit Eltern und Freunden wird sie schließlich für sechs Tage eingeschlossen und Tag und Nacht beobachtet.
Aus einem kuriosen medizinischen Fall wird ein makabres Menschenexperiment. Im Dezember 1836 schickt Ernst Büchner voller Stolz dem Sohn zwei Exemplare seines VERSUCHTEN SELBSTMORDs DURCH VERSCHLUCKEN VON STECKNADELN, nicht wissend, dass dieser gerade an seinem Woyzeck arbeitet. Die Nadelgeschichte findet dort in der berühmten Erbsen-Szene ihren Niederschlag. Man erinnere sich: Woyzeck hat sich gegen Geld als Versuchsobjekt der Wissenschaft angedient und darfmonatelang nur Erbsen essen.
Karl Ernst Büchner, 1786 in Reinheim als Sohn eines Amtschirurgen geboren, trat zunächst in den niederländischen Sanitätsdienst ein und erhielt eine Ausbildung zum Regimentsarzt, zog anschließend mit den Truppen Napoleons fünf Jahre durch Europa. 1815 wurde er in Gießen promoviert - 1817 wurde er Medizinalassessor, 1854 Obermedizinalrat. Er starb 1861 in Darmstadt.
Ursendung: 21.09.2014
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