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Wirtschaftskomödie

ein Hörspiel von Elfriede Jelinek, BR - DLR 2015


Das Verhältnis ihrer Texte zur Wirklichkeit sei ein kontinuierliches aber undurchschaubares, äußerte Elfriede Jelinek in einem Interview. Die Wirklichkeit sei ein Tier, das immer neben dem Geschriebenen her laufe, es beißen oder sich von ihm streicheln lassen könne. Was davon eintritt, ist nicht planbar. Mit Die Kontrakte des Kaufmanns von 2009 lässt sich die Autorin besonders intensiv auf dieses Verhältnis ein, indem sie das Stück zur Wirtschaftskrise fortschreibt. Noch 2009 entsteht Schlechte Nachrede: Und jetzt? als Epilog zu Die Kontrakte des Kaufmanns. Das dreiaktige Stück Aber sicher! aus dem gleichen Jahr ist eine Fortsetzung. Schließlich bezeichnet Jelinek 2014 den bislang nicht aufgeführten Text Warnung an Griechenland vor der Freiheit als Zusatz zu Die Kontrakte des Kaufmanns. In all diesen Texten zur ökonomischen Krise, die Jelinek im Hörspielprojekt unter dem Titel Wirtschaftskomödie zusammenfasst, manifestiert sich ihr system- und sprachkritisches Anschreiben gegen den Kapitalismus. Die Stücke enthüllen die Krise einer Gesellschaft, die sich in ein System von Gier, Geld und Schuld verstrickt hat und dies nicht sehen will.
Ausgangspunkt von Die Kontrakte des Kaufmanns bilden die Skandale um die österreichische Meinl Bank und die österreichische Gewerkschaftsbank BAWAG. 2007 verlieren Kleinanleger durch fragwürdige Finanzgeschäfte dieser Banken einen großen Teil ihres Vermögens. So konkret diese Vorgänge in Jelineks Stück hinein spielen, wie etwa auch der Fall eines österreichischen Familienvaters, der wegen seiner massiven Verschuldung fünf Familienmitglieder erschlug, so chiffriert und überformt werden sie zugleich im literarischen und sprachlichen Verfahren der Autorin. Wirtschaftskomödie entlarvt die Mechanismen der Gier, der Gewinnorientierung und der Verblendung, in die sich Kleinanleger genauso verstricken wie Banker. Es verdeutlicht den virtuellen Charakter des Marktes, in dem Wertschöpfung und der Ursprung von Reichtum oder Produktivität von Arbeit relativ werden und das Sprechen darüber hohl. Zudem vermittelt sich die quasireligiöse Aufladung ökonomischer Zusammenhänge, die nicht mehr durchdrungen, geschweige denn hinterfragt werden.
Dabei erweisen sich die für Jelineks Schreiben typischen Sprachspiele als wiederholende Praxis dessen, was in der Wirtschaft passiert, nämlich als Schöpfungsakte aus dem Nichts: "Nur die Sprache, das verlogenste und gleichzeitig unbestechlichste Mittel im menschlichen Zahlungsverkehr (und sie kostet nichts! Wir alle haben sie!) kann das irgendwie fassen und darstellen, weil sie diese Differenz zwischen Wirklichkeit und Wirklichkeit überspringen kann, also letztlich das Nichts, denn wir sind alle Spielmaterial, Jetons, die aber niemand einwechseln will. Auch die Autorin fällt jedes Mal wieder auf sie rein, sie hat einen Vertrag mit der Sprache abgeschlossen, weiß aber nicht mehr, was sie da überhaupt unterschrieben hat." (Elfriede Jelinek)

"Das besondere an der Arbeit mit Texten von Elfriede Jelinek ist, dass man immer gezwungen wird, eine gesellschaftliche und politische Haltung einzunehmen. Da wo ihre Texte sich vermeintlich entziehen, entsteht eine Art Unterdruck, der uns in die Themen hineinzieht. Man möchte die Autorin dort ermahnen (zur Sachlichkeit, zur Konkretion...) oder korrigieren (Ja, aber...), um dann erst zu bemerken, dass man längst Bestandteil ihres Spiels geworden ist: das Autorin, Vermittler (Regie und SchauspielerInnen) sowie den/die RezipientIn in einen engen Diskurs zwingt. Elfriede Jelinek gelingt es, uns ohne wohlmeinende Didaktik und ohne erhobenen Zeigefinger unsere Gegenwart vorzuführen. Und das ist die hohe (und auch niedere) Kunst – etwas von dem wir glauben es zu kennen, weil es uns ständig in Nachrichten und Meldungen begegnet, so zu entrücken, das wir – endlich wirklich – darüber nachdenken können." (Leonhard Koppelmann)

"Mir kommt die Wirtschaft (die zu den schwierigsten Gebieten überhaupt gehört) immer wie ein Mobile vor, beim geringsten Berühren, ja nur einem Atemzug, gerät das feine Gestänge, geraten die Fäden, an denen wir unten zappelnd hängen (was wir nicht wissen, wir glauben ja, dass wir das Rad drehen), in Bewegung, und man weiß nie, wo sie wieder zur Ruhe kommen, die Fäden. Da sind so viele Parameter, dass man sie im Grunde nicht fassen kann. Ich sehe überall nur Fehler, weil sich nichts von diesen Parametern festmachen und bestimmen lässt. Die einen glauben an Keynes, die andren an Hayek, die dritten an jemand anderen, manche schon wieder an Karl Marx. Die Menschen sind mit der Verwaltung ihres mühsam verdienten Geldes total überfordert, die Banken sind es inzwischen auch, es ist ein riesiges Chaos. Man kann sein finanzielles Schicksal in die Hände von niemand mehr legen. Keiner kennt sich mehr aus, und das Wissen, das man dafür erwerben kann, gibt es nicht, es gibt eben unendlich viele Wissen über das Geld, das ja nur ein bedrucktes Stück Papier ist, vorgesehen zum symbolischen Tausch, der plötzlich zum realen wird: Geld oder Leben! Und diejenigen, die gar nichts haben, entwickeln plötzlich neue Wege der längst überwundenen Tauschwirtschaft, und das ist dann kein symbolischer Tausch mehr, das ist ihr Leben, und ein anderes haben sie nicht." (Elfriede Jelinek)


Ursendung: 12.04.2015

Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 31.10.2023

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