In Redaktionssitzungen, den Talkformaten, Radio- und Fernsehsendungen, in Elternbeiräten, den Mitarbeiterbesprechungen und öffentlichen Sicherheitshinweisen – überall tönt der Katastrophensound. Wir sind ständig konfrontiert mit Schutzbestimmung, Ängsten, Norm-Messungen, Vorsichtsmaßnahmen, Verbrauchertipps, aber auch Zerstörungs- und Gewaltphantasien, Untergangserzählungen und Endzeitgeschichten. Die derzeit vorherrschende Erzählform der Wissenschaft ist das Szenario. Die Prognose ihr Ziel. Was passiert, wenn A und B eintreten, und wenn C auf sich warten lässt. Daneben beobachten wir argwöhnisch jeden wirtschaftlichen Aufschwung der ehemaligen Schwellenländer, der mit steigenden Treibhausgas-Emissionen einhergeht. Nicht zu vergessen der nach oben schnellende Ölpreis! Und gab nicht der größte russische Ölkonzern im letzten Frühjahr bekannt, sie hätten ihren Förderzenit bereits überschritten? wir wissen es nicht mehr so genau. Ein Gefühl der Vagheit hat sich längst eingeschlichen, eine Unsicherheit und eine beständige Ahnung der Desinformation. In unserem Bewusstsein überlagern sich die Dinge, Ströme von Informationen verschiedenster Provenienz und emotionaler Lagen, die wir oft nicht mehr zu sortieren wissen. Und was machen wir? Wir arbeiten diese Ängste und Vorstellungen klein, reagieren mit Übersprungshandlungen, Verdrängungsmechanismen, rationalen und irrationalen Dementi. In Tausenden von Überlegungen, kolportiertem Halbwissen, Paranoiaphantasien, aber auch Ablenkungsmodellen findet eine Telefon-Beschwörung auf allen Ebenen des fernmündlichen Universums statt: als Talkformat im Radio mit Zuhörerzuschaltung, als intimes nächtliches Telefongespräch oder Hörerbeschimpfung, in Warteschleifen oder Telefonwerbeformaten. Im Zentrum steht eine Kassandrasekretärin, deren Unmut alles zu organisieren scheint und die ihren eigenen Prophezeiungen nur hinterherhinken kann, obwohl sie diese nur zu gerne überholen würde. Denn schließlich ist es immer besser, schon am Ausgang der Geschichte zu stehen, als sie noch vor sich zu haben.
Kathrin Röggla, geb. 1971 in Salzburg, lebt in Berlin. Erzählbände, Romane, Theatertexte. BR-Hörspiele, u. v. a. HOCHDRUCK/dreharbeiten (1999, mit convex tv), Selbstläufer (2000), Elektronisches Träumen (2002, mit test bed), really ground zero. anweisungen zum 11. september (2002), wir schlafen nicht (2004), junk space (2006), ein anmassungskatalog für herrn fichte (2006).
hoerspielTIPPs.net:«Auch dieses Hörspiel leidet meines Erachtens unter dem Problem, dass man eine gute Idee überstrapaziert. Man schüttet den Hörer mit so vielen Themen zu, dass der rote Faden kaum erkennbar ist. In atemberaubenden Tempo hetzt man durch diese Geschichte. Es gibt kaum Chancen, Unwichtiges von Wichtigem zu trennen, oder auch nur einzelnen Gedanken zu packen und wirken zu lassen. Damit stellt man zwar ein gutes Pendent zur allgegenwärtigen und permantenten Flut an Dramatischem, was natürlich zwar seinen Zweck erfüllt, aber den Hörer nicht ganz zufriedenstellen wird.
Da es in sich schlüssig ist, reicht es zwar für eine positive Wertung, eine allgemeine Empfehlung kann ich allerdings nicht abgeben, da das, was hier auf den Hörer einprasselt, vermutlich dem Gros doch eine Spur zu viel sein dürfte.»
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 12.11.2020
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