Billig blickt dem Leben ins Gesicht! Anders als so viele seines akademischen Standes schafft der unerhörte Dr. phil. sich ein Schicksal: Er entzieht sich dem bürgerlichen Spießertum, nur um am Ende an der organisierten Dummheit und Brutalität einer Gesellschaft des Krieges zu Grunde zu gehen. Auf einem Pferderennen begegnet Billig, Syndicus der Z.Y.N.K. mit unbefriedigten Sehnsüchten und Hang zum Abenteuer, der internationalen Kokotte Margot. Er gerät in einen Taumel erotischer Verzückung und in ein Milieu von Kriegsgewinnlern, Hehlern und Schiebern, denen Margot als Unternehmerin vorsteht. Er wird Margots Geliebter, Direktor eines spekulativen Großgeschäftes um rumänisches Getreide und lebt sein Leben plötzlich in halber Bewusstlosigkeit. Weil durch das offizielle Verbot von Handelsbeziehungen mit Rumänien das Projekt grandios scheitert und Billig mit einem Duell den letzten rettenden Geldgeber vergrault, lässt Margot ihren kleinen Billig fallen, nicht bevor sie seine letzten finanziellen Reserven eingefordert hat. Ein von Margot in Auftrag gegebener grausamer Mord weckt Billig auf, empört ihn maßlos und lässt ihn nun doch zum enthusiastischen Verteidiger von Moral und Gesetz werden. Am Ende, nach so vielen bedeutenden Erlebnissen und gestrandet als Obdachloser, hat Billig nicht nur seine Lebensstellung bei Z.Y.N.K. sondern auch den Glauben an den Menschen verloren.
Gegen den Expressionismus geschrieben und bereits 1918 im Prospekt des Club Dada in Auszügen abgedruckt, steht Richard Huelsenbecks Roman Doctor Billig am Ende gleichzeitig in einer literarischen Tradition der Satire, wie sie mit Autoren wie Heinrich Mann, Carl Sternheim oder Walter Mehring aufgerufen ist.
Die satirische Zeichnung des Bürgers präsentiert sich bei Huelsenbeck als sprachgewaltige Groteske voller Energie und Bilderreichtum, ergänzt von Illustrationen von Georg Grosz. Der realistische Ansatz kippt immer wieder um in phantastische Ausmalung und alptraumhafte Szenerien, in denen der Schauplatz Berlin zum Mitspieler wird. Als der Roman 1921 im Verlag Kurt Wolff erscheint, ist der Elan der Dada-Bewegung bereits abgeflaut und der Erste Weltkrieg seit drei Jahren zu Ende. Nicht zuletzt vor dieser Konstellation übersteigen der Fall Billigs und die Schilderungen der Kriegsgewinnler die konkrete historische Situation hin zur Darstellung einer abgründigen, skrupellos agierenden Gesellschaft des Kapitalismus, die aus heutiger Perspektive nichts an Aktualität verloren hat.
Richard Huelsenbeck, geb. 1892 in Frankenau/Hessen, gest. 1974 in Minusio/Tessin. Arzt und Psychologe, Autor, Maler, Mitbegründer der dadaistischen Bewegung. Nach dem Ersten Weltkrieg als Schiffsarzt Reisen nach Ostasien, Afrika, Indien, Nord- und Südamerika. Als Korrespondent in China, Westindien und Mexiko. 1936 Emigration nach New York. 1970 bis zu seinem Tod verbringt er im Tessin. Werke, u. v. a. Phantastische Gebete (1916 u. 1920), Schalaben, Schalabai, Schalamezomai (1916), Dadaistisches Manifest (1918), Azteken oder Die Knallbude (1918), Verwandlungen (1918), En avant Dada (1920), Dada siegt (1920), Deutschland muß untergehen. Erinnerungen eines dadaistischen Revolutionärs (1920), China frißt Menschen (1930), Sexualität und Persönlichkeit (1954), Mit Witz, Licht und Grütze. Auf den Spuren des Dadaismus (Autobiografie, 1957), BR-Hörspieladaptionen dr. huelsenbecks mentale heilmethode (1992), Verwandlungen (1994, Hörspiel des Jahres), Azteken oder die Knallbude (1997).
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