In einer Nacht – so erzählt es die Anekdote – wird die ungefähr zehnjährige Prinzessin Alexandra auf den Korridoren im Schloss ihres Vaters, Ludwigs I. von Bayern, beobachtet, wie sie vorsichtig und sehr, sehr langsam auf und abgeht. Ihren besorgten Eltern sagt sie mit ernster Miene, dass sie Angst habe, zu zerbrechen – wegen des vielen Glases in ihr. Prinzessin Alexandra Amalie von Bayern (1826–1875) litt unter der Einbildung, ein gläsernes Klavier verschluckt zu haben. Diese Wahnvorstellung begleitete sie jahrelang, doch hielt sie diese Einbildung nicht davon ab, ihr Leben als Übersetzerin und Dichterin der Kunst zu widmen und sich darüber hinaus sozial zu engagieren – vielleicht im Gegenteil. Ihr Vater ließ sie für seine "Schönheitengalerie" porträtieren – die heute im Nymphenburger Schloss in München zu besichtigen ist – und vermachte ihr seine naturhistorische Sammlung. Die Prinzessin blieb ihr Leben lang unverheiratet, was unter anderem an ihrem psychischen Leiden lag. Oder sollte man sagen, ihr nervlicher Zustand bewahrte sie vielmehr vor einer Heirat und eröffnete ihr unter den skeptischen Blicken der fürstlichen Gesellschaft mehr Gestaltungsspielraum.
Um die Mythen, die sich um die Person der Alexandra Amalie von Bayern ranken,kreist Dominic Robertsons Radio-Cantastoria. Der Begriff "Cantastoria" stammt aus dem Italienischen und bezeichnet einen Sprech-Gesang, der auf Marktplätzen von einem Performer vorgeführt wurde, der zur Untermalung der Geschichte Bildtafeln hochhielt. Folgerichtig entwickelt der Autor und Multi-Instrumentalist Robertson sein Hörspiel anhand von fünf Bildern, die Einblicke bieten in die Phantasie der Prinzessin, zwischen Kunst und Wahnsinn. Die Originalgedichte Alexandras finden im Hörspiel ebenso ihren Platz wie Fragen nach dem kreative Zusammenwirken ästhetischer und psychischer Kategorien.
"Mich hat die Vorstellung des Unmöglichen als unüberwindbares Hindernis noch nie überzeugt. Prinzessin Alexandra Amalie von Bayern glaubte, als Kind ein gläsernes Klavier verschluckt zu haben – und wer sind wir, zu sagen, dass es nicht so gewesen ist? Die Geschichte ihres Lebens wird im Hörspiel durch ihre verschiedenen mentalen Zustände erzählt: das Schlucken eines Klaviers als Kind, die Manie der Kreativität, die Manie der Zerstörung und Selbstzerstörung, die katatonische Depression und schließlich der Tod. Doch selbst nach ihrem Tod geht ihre Geschichte weiter, darin wird die Prinzessin bestätigt. Was unmöglich scheint, ist jedenfalls keinesfalls undenkbar."(Dominic Robertson)
Dominic Robertson (auch Ergo Phizmiz), geb. 1980, lebt und arbeitet in Bridport/England. Komponist, Autor, Collagist und Filmemacher.
Ursendung: 03.03.2017
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 03.03.2017
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