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Die Umkehrung Amerikas

ein Hörspiel von Mauricio Kagel, WDR - KRO 1976


Während der ersten dreißig Jahre der Conquista, nach der Landung von Hernán Cortéz, wurd durch Mord und Totschlag die Bevölkerung von Zentral-Mexiko von 25 Millionen auf etwa 6 Millionen verringert: das sind 19 Millionen Opfer. Somit wurden auch moderne Erfahrungen über ein systematisches Genoizid ungeahnten Ausmaßes gewonnen, die Anwendung dieser Erkenntnisse hat mit wechselnden Werkzeugen seitdem nicht aufgehört. Nach dem Schock der Begegnung zwischen Europäern und Indios wurde die Demütigung am deutlichsten durch das Aufzwingen einer Fremdsprache. Vielleicht kann das Hauptthema dieses Hörspiels: der programmierte Verlust der eigenen Kultur durch den Verlust der eigenen Sprache dem Hörer einleuchtend werden, wenn er einer krankhaft artikulierten, jedoch verständlichen Sprache folgen muß."

In der Zeit von Februar 1975 bis Juni 1976 arbeitete Kagel an Text und Partitur der "Umkehrung Amerikas", einem Hörspiel, das später als "Meilenstein in der Entwicklung des Hörspiels" gewertet wurde. Es ist der Versuch, Unterdrückung und Umkehrung einer Kultur durch eine andere erfahrbar zu machen, Unaussprechliches auszusprechen. Das Hörspiel bezieht sich auf authentische Dokumente und Berichte, auch auf den lange geheim gehaltenen "Kurzgefaßten Bericht von der Verwüstung westindischer Länder" (1542) des spanischen Geistlichen Bartlome de las Casas. Das Hörspiel "Die Umkehrung Amerikas", ein Pendant zu seinem musiktheatralischen Werk "Mare nostrum", stellt die Grausamkeit zahlloser Methoden körperlicher und geistiger Zerstörung eines Volkes dar und erreicht durch "die Aneinanderreihung von Untaten die Vollständigkeit eines saide-Memoires kolonialer Eroberungskriege". Die vielfältigen Techniken von Tortur und Liquidation werden "statt eines Handlungsablaufs allein durch die Aneinanderreihung von tatsächlichen Aktionen erzählt. Eigentlich könnte dieses Manuskript in den Nachrichten gesendet werden." Die Komposition des Hörspiels läßt sich grob in drei Komplexe gliedern: der erste Teil führt in den Figuren der drei Spanier das Vokabular des Sadismus und die Absichten der Eroberer vor. Dies geschieht in Form von rhythmisierten Wortreihungen. Der zweite Teil der Komposition ist gekennzeichnet durch das demütigende Aufzwingen einer Fremdsprache. Der Verlust der Identität beginnt mit der Dressur des fremden Alphabets: "Sag A...U." Im dritten Teil kommen die Indios "zur Sprache". Sie erzählen nach ihrer Umkehrung von ihren Leiden. Diese artikulieren sie in einer im buchstäblichen Sinne "umgekehrten" Sprache. Um das peinvolle Lernen einer europäischen Sprache, um die Mühe und das Unfreiwillige des Sprachprozesses auszudrücken, entwickelte Kagel ein Verfahren, das nur durch die Anwendung radiofonischer Mittel hörbar gemacht werden kann. So sprechen die Schauspieler, die die Indios darstellen, ihre Sätze in der umgekehrten Buchstabenfolge aus. Anstelle des Wortes "schuldig" sagen sie "gidlusch". Die Tonbandaufnahme wird bei der Montage umgedreht: aus "gidlusch" wird "schuldig".


🔥 Prix Italia 1977

Ursendung: 27.12.1976


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