An einem ihrer letzten Berliner Tage besteigt Gertrud Kolmar im Morgengrauen die Siegessäule, um zu springen, um Schluss zu machen, selbstbestimmt, wenn auch nicht aus freien Stücken, bevor sie von der Fabrikarbeit weggeholt und - wie zuvor ihr Vater - ins Vernichtungslager transportiert wird. Schließlich steigt sie wieder herunter. Sie hat beschlossen, durchzuhalten bis zum letzten Augenblick, und sei es nur, "um ein Dreck zu werden unter euren Stiefeln, Mörderbande, der euch noch tausend Jahr lang an den Stiefeln kleben soll". Gerlind Reinshagens Stück geht dem Lebens- und Leidensweg der deutsch-jüdischen Dichterin Gertrud Kolmar (1894-1943) auf ganz eigene, literarische Art nach: Dieser lyrische Prosatext entbirgt illusionslos und mit scharfem Blick auf Umgebung und Person das Bild eines radikalen Durchhaltewillens einer ergreifend starken und einsamen Frau in auswegloser Gegenwart.
Gerlind Reinshagen, geboren 1926 in Königsberg, studierte Pharmazie in Braunschweig, danach wechselte sie an die HdK Berlin, seit 1956 ist sie freie Schriftstellerin - sie verfasste zahlreiche Romane, Theaterstücke und Hörspiele. Sie lebt in Berlin.
🔥 Hörspiel des Monats Januar 2010
Ursendung: 20.01.2010
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