Arsenij Avraamov war einer der größten Musik-Neuerer seiner Zeit. Er arbeitete mit Geräuschen, flocht sie in musikalische Strukturen ein und entwarf zahlreiche neue Instrumente. Sein bekanntestes Werk ist die Symphonie der Sirenen (simfonia gudkov), das er nur zweimal aufführte: am 7. November 1923 um die Mittagszeit im Zentrum von Moskau und exakt ein Jahr zuvor in der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku. Die Aufführung war ein eindrucksvolles Spektakel mit einer Unzahl von Tönen und Geräuschen. Avraamov selbst dirigierte von einem Turm aus – ausgerüstet mit bunten Fahnen und einem Feldtelefon. Hinsichtlich des Aufwands bei der Aufführung war und ist die Symphonie der Sirenen wohl das größte und lauteste Musikstück, das jemals erschaffen wurde. Bei dem revolutionären Anlauf in Baku beteiligte sich die komplette Stadt, um eine einzigartige Darbietung abzuliefern. Trotzdem hat die Symphonie der Sirenen kaum Spuren hinterlassen: Von der Arbeit, die einst eine ganze Stadt auf Trab hielt, ist nur eine einzige Manuskriptseite übrig geblieben, auf der Avraamov das musikalische Geschehen zusammenfasste. Statt gestimmter Geigen sind Kriegsschiffe, Kanonen, Autos, Lokomotiven, unzählige Fabrik- und Alarmsirenen sowie zahlreiche Chöre für die Aufführung nötig. Andreas Ammer und FM Einheit haben die Symphonie der Sirenen für das moderne Brünner Ausstellungsgelände rekonstruiert. Es ist gewissermaßen eine historisch- kritische Ausgabe von Avraamovs Werk, die alles enthält, was über diesen fast in Vergessenheit geratenen Meilenstein der Avantgarde noch bekannt ist. Grundlage für die Brünner Version, die im Oktober 2017 aufgeführt wurde, waren neben Avraamovs knapper, aber präziser Beschreibung Texte des russischen Futuristen Alexei Gastev, der Avraamov inspiriert hatte. Darüber hinaus kamen in Brünn klassische Instrumente zum Einsatz wie Schlagzeug, Saxophon und Tuba, aber auch neu entwickelte wie Stahlfedern oder Klangtrichter sowie Betonmischer, eine Brassband, verschiedene Chöre, eine Lokomotive und natürlich Sirenen. So wurde Avraamovs Werk in seiner historischen, konzeptuellen und akustischen Einzigartigkeit erlebbar. Aus den Aufnahmen der Live-Performance in Brünn wird in der Postproduktion ein Hörstück, das der BR online in einer binauralen und in einer 5.1-Fassung präsentiert.
Arsenij Avraamov (1886–1944), russischer Komponist und Musiktheoretiker. Arbeit als Kritiker für einen Musikverlag. Während des Ersten Weltkriegs Flucht ins Ausland. Nach der Rückkehr 1917 Berufung zum Volkskommissar für das Bildungswesen. Entwicklung eines eigenen universalen Tonsystems. In den letzten Lebensjahren Sammlung und Verarbeitung der Musik der Kaukasusvölker.
Andreas Ammer, geb. 1960, FM Einheit, geb. 1958. Gemeinsame Hörspiele u.a. Apocalypse Live (mit Ulrike Haage, BR / Marstall / Labor 1994, Hörspielpreis der Kriegsblinden, Prix Futura), Crashing Aeroplanes (WDR / DLR 2001, Hörspielpreis der Kriegsblinden).
Ursendung: 13.04.2018
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 13.04.2018
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