""Ich habe beschlossen, Musiklehrerin zu werden, ich habe beschlossen, Kinder zu bekommen, warum darf ich nicht beschließen, wann ich wie sterben möchte?" Im Alter ein Pflegefall werden, das wollen die wenigsten. Lieber dem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen, als in langem Siechtum dahinvegetieren. Aber wenn man dem vorbeugen will - wann ist der richtige Zeitpunkt? Oder besser - wie kann man sicherstellen, dass man es dann, wenn man es will, auch noch kann?
Bedenken wie diese haben Arno Herbst, dem wachsende Desorientierung zu schaffen macht, und seine Frau Lore zu der Entscheidung gebracht, zu gehen, bevor das Alter sie ernstlich im Griff hat - nämlich am 2. April: mit jeweils 15 Tropfen Natriumpentobarbital. Ein paar Wochen vorher bitten sie ihre Kinder, die längst selber Familien haben, zu sich. Doch das erhoffte Verständnis bleibt aus. Vor allem Jan und Anna sind außer sich: "weil im Wort Selbstmord das Wort "Mord" steckt, Mama". Müssen Eltern nicht, wenn sie ihre Kinder wirklich lieben, für sie und die Enkelkinder dasein und dableiben? Ist es egoistisch, zu gehen, oder ist es egoistisch, jemanden zum Bleiben zu zwingen? Doch da ahnt noch niemand, dass das eigentliche Fiasko erst noch bevorsteht."
Jean-Michel Räber, 1959 in Zürich geboren, lebt in Heidelberg. Er ist Schauspieler und seit 1994 auch Autor: von Theaterstücken, Hörspielen und Soloprogrammen. Die Uraufführung der Theaterfassung von "Gehen" ist geplant für Januar 2019 am Hans-Otto-Theater Potsdam.
Ursendung: 10.09.2018
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