W. ist die Aufschrift auf einem Papierbündel und einem Paket, in dem eine störende Schwester, ein stummer Vater, eine entfernte Mutter auf die Post gebracht und verschickt werden, um vom Adressaten - einem Leser/Hörer - Stück für Stück einverleibt zu werden. W, ein gezahnter Buchstabe, ist sein Biss. Er richtet sich gegen alles, was W sonst noch ist oder andeutet: das Weiß, auf das es geschrieben ist, Wien als den Ort einer bestimmten, Psychoanalyse genannten Hör- und Sprechpraxis, das Weh, das mit der Sprache und mit ihrem Fehlen verbunden ist - er richtet sich gegen sie, um sie (vor sich selbst) zu bewahren. W., das Gedicht, ein paranalytischer Parcours, eine Übung in gehemmter Dissoziation, eine stenographische Erzählung von einem, der sich zur Sprache zu bringen versucht und, da er viele ist, nur zu verschiedenen, geteilten und widersprüchlichen Sprachen kommen kann.
Jean Daive, geboren 13. Mai 1941 in Bonsecours, französischer Lyriker, Romancier und Übersetzer, u.a. von Paul Celan. Er war seit 1975 Redakteur bei France Culture, initiierte das Magazin "Visuelle Künste" und ist Direktor des cipM (centre international de poésie Marseille). Daive lebt in Paris.
Ursendung: 16.12.2012
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