Am Tag nach der Wahl findet eine Leitungssitzung in einem größeren Institut statt, in der man sich die Wunden leckt. Der Geschäftsführer, der Verwaltungsleiter, die Pressechefin, eine Protokollführerin und der Mensch "für die Inhalte" kommen zusammen und versuchen, die Situation in den Griff zu kriegen, die nun von einem autoritären Führer neu bestimmt wird. Es ist klar, dass durch die veränderte politische Situation auch für diese Institution alles anders wird, ja mehr noch, es deutet sich an, dass die gewohnten Verfahrensformen zur Disposition stehen. Das Bemühen um eine Ausrichtung gemäß der Tagesordnung wird ständig konterkariert von den eigenen Paniken, nicht einmal die Bauproblematik des Hauses kann noch zu einem pragmatischen Handeln führen. Es ist wie verhext, zumal die Protokollführerin mehr und mehr auf eigenen Wegen unterwegs ist.
"Legitimation durch Verfahren" war das Schlagwort, das uns Niklas Luhmann seit den 1960er Jahren auf den bundesrepublikanischen Weg zur Demokratiebewahrung mitgab. Heute, in einer Zeit, in der Postdemokratie, Technokratie und eine unverhohlene Sehnsucht nach autoritären Führungsformen uns vor gewaltige politische Herausforderungen stellen, könnten sich burleske, hysterische Abgesänge auf die Situation mit Zerfallsmelodien und hilflosem Slapstick zu einer Gegenwehr des Komischen verbinden.
"Das ist doch Humbug, wir werden die laufenden Probleme nicht los mit der Installation eines neuen Systems, das uns Unmengen kostet, solange die Manipulationvon beiden Seiten kommt. Von außen und von innen. Denn so ist das doch. Es sind ja nicht nur Außenangriffe, sondern wir erleben… also solange wir nicht verstehen, wie Menschen von der Situation unseres lieben Staatsoberhaupts profitieren... der mittlerweile mit Sicherheit an seinem Knöpfchenpult angekommen sein wird. Aber keine Sorge, der kann ja nicht links von rechts unterscheiden, er denkt nicht an irgendwelche roten Knöpfe, weil er sich ohnehin nicht auskennt in dem Knöpfchenwirrwarr seines Amtes. Es gibt ja so viele, haben wir uns sagen lassen, dort oben auf dem Pult, am Ende drückt er den falschen, und es kommt ewiger Frieden dabei heraus oder zumindest ein solides Krisenmanagement..."
Kathrin Röggla, geb. 1971, ist österreichische Autorin und schreibt Prosa, Theatertexte, Essays und Hörspiele
Ursendung: 18.01.2019
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 28.02.2022
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