Wie konnte eine grundsätzlich vernünftige Gesellschaft in einen kollektiven Wahn verfallen, der zu Faschismus und Massenmord führte? Sylvère Lotringer, Professor an der New Yorker Columbia University, sucht eine Antwort in der Auseinandersetzung mit dem Schauspieler und Dichter Antonin Artaud.
Mit Mikrofon und Tonband macht sich Sylvère Lotringer 1984 auf den Weg nach Frankreich. Artaud ist zu dem Zeitpunkt längst tot. Aber es gibt Zeitzeugen, die noch leben. Zum Beispiel die beiden Psychiater, die den exzentrischen Schauspieler und Theatererneuerer behandelten, als er von 1937 bis 1945 in einer Irrenanstalt weggesperrt war. Mit unzähligen Elektroschocks versuchten sie ihn zurück in die Normalität zu therapieren.
Lotringer führt lange Gespräche mit den Ärzten. Über Artaud, seine Bedeutung in der Kunstwelt und ihre therapeutischen Ansätze. Es sind tragikomische Dialoge, die die intolerante und engstirnige Haltung einer Machtelite widerspiegeln.
Jahrzehnte nach diesen Interviews wundert sich der achtzigjährige Lotringer, dass die alte Frage, was normal ist und wer verrückt – und wer das Recht hat, dies zu bestimmen, sich in Zeiten des wiedererstarkten Rechtspopulismus erneut stellt.
Jean-Claude Kuner, geb. 1954 in Basel, lebt als Autor und Regisseur in Berlin. Sein Hörspiel"Traumrollen" wurde 2013 von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste zum Hörspiel desJahres gewählt.
Ursendung: 08.09.2019
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