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Schallarchiv - Eine Trilogie (1) rolling - läuft

AudioArt - ein Hörspiel von Ulrich Bassenge, Bernhard Jugel, BR 2003


""Was zukünftige Zeitalter gerne von uns erfahren möchten, weiß ich nicht. Was ich gerne von zukünftigen Zeitaltern erfahren möchte, wüsste ich wohl. Aber leider vermittelt die Phonogrammpost, der ich meine neugierigen Fragen anvertrauen möchte, keine Rückantwort." So sprach´s der Wiener Nationalökonom Eugen Ritter von Böhm-Bawerk am 20. Dezember 1905 in den Trichter und formulierte damit das Wesen der Tonaufzeichnung: die Verewigung, und zugleich ihren Pferdefuß: sie ist eine Einbahnstraße. Seit Edisons Erfindung im Jahre 1888 eignen drei Dinge der Phonographie: die Aufnahme der Botschaft, das Abspielen, das zur Sendung wurde, und der Tonträger, das Medium. Entsprechend ist dieser Gang durch die Tonarchive der Menschheit als dreigeteilter musikalischer Zyklus strukturiert: Eine neue Form des enzyklopädischen Hörspiels, bei dem das Material die Methode diktiert. "So werde ich zu dir sprechen jederzeit, wenn du mich rufst ..." (Adolph Rechenberg 1899) "Recordare" heißt: wieder ins Herz zurückführen. In der Geschichte der Aufnahme zeigt sich die soziokulturelle Bedeutung scheinbarer Nebensachen. Im wilhelminischen Reich sprach man mit Stentorstimme auf den Zylinder - kein Zufall, auch wenn dieser kaiserliche Tonfall sich aus der Unzulänglichkeit des Aufnahmeverfahrens ergab. Wer zu leise war, ging im Rauschen des Wachses unter. Die elektrische Verstärkung wurde erst 1928 erfunden. Was als Kinderspiel begann - "Mary had a little lamb" trällerte Edison auf seinen ersten Zylinder -, trug in sich den Kern einer neuen Unterhaltungsindustrie. In gemieteten Hotelzimmern, später in eigenen Aufnahmestudios ging es zur Sache: Talent wurde verwertet, Matrizen geschnitten, Musik kommerzialisiert. Der heilige Moment des "first take" indes offenbart sich heute, im Zeitalter der Reissues als Mythos - die reichlich zu Tage gekommenen Fehlstarts und Studio-Schnipsel verraten es. Erheiternd, gelegentlich ernüchternd ist es, was Menschen vor Mikrophonen alles tun. Wir werden Zeugen des Privaten, ungewollt. Nicht zuletzt erzählen Aufnahmen von der Demokratisierung des Aufnahmeprozesses und der Produktionsmittel. Das Uher-Tonbandgerät ermöglichte in den Sechzigern ein neues Familienvergnügen: das tönende Tagebuch. Unzählige Archive des Alltags entstanden. Im selben Jahrzehnt suchten Tonbandstimmenforscher wie der notorische Konstantin Raudive den Gottesbeweis auf Magnetophonband. Diese verlorenen Stimmen schließen den Kreis zum magischen Glauben der Epensänger im Balkan, die ihre Stimme in den Aufnahmekästen der Feldforscher gefangen wähnten. Hatte Homer ein Diktaphon? Band läuft."

Ulrich Bassenge, geboren 1956 in München, ist Autor und Musiker (bei "Sparifankal" und "Embryo"). Er schrieb die Filmmusiken zu "Spaltprozesse", "Living Buddha" und "Die Macht der Bilder - Leni Riefenstahl" (Emmy 1993). Bassenge ist Hörspielautor, -komponist und -regisseur, u.a. beteiligt an "fusion" (BR 1989, lobende Erwähnung beim Prix Italia), "eurohymne" (mit Herbert Kapfer, BR 1990, civis-Preis), "Jandls Dilemma" (von Ernst Jandl, BR 1992), "Maria Volk Goldberg Remix" (BR 1998), "Makrophon" (von Valeri Scherstjanoi, BR 2000), "to be on your own" (BR 2001), "forecast" (HR/Autorenproduktion 2002), "Störung" (von Britta Höper, BR 2002).

Bernhard Jugel, geboren 1957 in Scheinfeld, lebt in München als Journalist, Moderator und Medienarbeiter. Er führte Regie bei vielen Hörspielen, u.a. bei "Das Radio der Zukunft" (von Velimir Chlebnikow, BR 1995), "Dienstag" (von Helmut Krausser, BR 2000, Hörspiel des Jahres), "Metropolis" (nach Thea von Harbou/Fritz Lang, BR 2001, Hörspiel des Jahres), "Rosa-Die Akte Rosa Peham" (von Thomas Harlan, BR 2001, Hörspiel des Monats April), "Amokkopf" (von Michael Farin, HR 2001), "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" (nach Fritz Lang/Thea von Harbou, BR 2003).

🔥 Hörspiel des Monats Oktober 2003

📚 andere Folgen von Schallarchiv - Eine Trilogie

Ursendung: 10.10.2003


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