Demenz, so die Autorin, kann man als Angriff auf das kollektive Bewusstsein verstehen; durch die Auslöschung der individuellen Erinnerungen verarmt auch das gemeinsame Gedächtnis. So steht in Ruth Johanna Benraths Text auch Herr B. zwischen den Zeiten. Sein Alltag im Heim ist ein immerwährendes Ringen um Orientierung. Alltagswahrnehmungen durchfärben sich mit Kriegserinnerungen; die letzten Tage im „Volkssturm“, das Geräusch des Gewehrs 43 überlagern sich mit vorchristlichen Gottesvorstellungen. Ich bin die leere Mitte Gottes, sagt Herr B., Sohn eines Pfarrers, immer wieder. Die Verständnisebenen mäandern. Nur eines scheint sicher: Draußen wartet das Kind auf ihn. Alles ist daran zu setzen, zu ihm zu gelangen. Doch gibt es das Kind wirklich - und wenn ja, kann Herr B. dessen Wirklichkeit verstehen?
Neben Herrn B. treten weitere Perspektiven ins Bild. Im professionellen Arztgespräch versucht eine Psychiaterin Anknüpfungspunkte für einen Heil- oder Betreuungsansatz einzugrenzen. Eine Pflegerin notiert die täglichen Aufs und Abs im Unterbringungsalltag des Patienten. Und im Hintergrund zirkuliert eine possierliche Geschichte aus Kindertagen; drei kleine Bären, die sich im Wald verlaufen haben. Sofern dieses Zeichen auch scheint, gut möglich, dass es für einen Moment die vergessene Biografie einholt, ermächtigt und aktiviert - in einer für Herrn B. unverständlichen Welt aus Fremdbestimmung und Hilfsbedürftigkeit.
🔥 Hörspiel des Monats November 2021
Ursendung: 29.11.2021
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 28.11.2021
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