Der Referent der live im Radio übertragenen Hauptstadtkulturgespräche ist ab-, ein Ersatzreferent kurzfristig eingesprungen. Dieser nutzt seine Chance zu einem unaufhaltsam scheiternden Vortrag und verliert sofort den Faden.
Der Redakteur des Abends bemüht sich in der Regie vergeblich um Steuerung, doch der Ersatzreferent lässt sich durch nichts vom Reden abbringen. Seine Reflexionen mäandern von einem „auf den Hund gekommenen Katastrophenfilmgenre“ über „Angstschulden“ zur „Lust am Richten“, streifen das bislang viel zu wenig beachtete Thema „Stottern im Barock“ und gelangen schließlich zur Frage: Was ist eigentlich ein erfolgreicher Hörer? Er redet auch weiter, als sein Mikrofon irgendwann selbst zu sprechen beginnt und das Publikum im Sendesaal Einwände erhebt oder sogar den Saal verlässt. Das Reale bricht ein in die Fiktion und lässt Ebenen und Sinnzusammenhänge verschwimmen. Der Hörer wird von Anfang an in Orientierungsnot gebracht. Was soll er halten von diesem von einer Agentur vermittelten modernen Allrounder, der plötzlich die Intellektuellenfeindlichkeit anprangert. Die „publikumsberatung“ bedient sich aller Tricks des Fingierten, des Spiels im Spiel, und stellt nicht nur die Frage nach den Grenzen des Fiktiven, sondern mit ihrem Geflecht von Diskursschnipseln auch das Verhältnis von Sprache und dem, was sie bezeichnet, auf den Kopf. Deutlich nimmt der Text Bezug auf Peter Handkes berühmt gewordenes Stück „Publikumsbeschimpfung“, das 1966 mit den Theaterkonventionen abrechnete, indem es seine eigene Inszenierung zum Gegenstand macht und sich vom ersten bis zum letzten Wort an das Publikum im Saal richtet. Dessen Unbeweglichkeit in den Klappsesseln wird bei Handke ebenso thematisiert wie die Zeitspanne, die die Aufführung dauert. Unserer Dienstleistungsgesellschaft entsprechend, deren Handlungsmaxime „Leistung muss sich wieder lohnen“ lautet, wird das Publikum nicht mehr beschimpft. Es wird beraten.
🔥 Hörspiel des Monats Januar 2011
Ursendung: 16.01.2011
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 12.08.2012
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