Das Packeis hat das Expeditionsschiff „Anna Susann“ kurz vor dem Ziel eingeschlossen. Das Funkgerät funktioniert nicht. Das Radio empfängt nur kurzzeitig und unvollständig ein Programm. 15 Männer leben dicht aufeinander gedrängt. In der Enge wirkt alles bedeutungsschwerer, als es gemeint ist. Jede Nachlässigkeit reizt unmäßig, jede unbedeutende Geste wird zu einer nervenaufzehrenden Marotte. Der Kapitän ordnet die Untersuchung des Gebiets mit dem Namen „Tenakeh“ an, obwohl die Vorräte auf dem Schiff zu Ende gehen. Der Offizier glaubt selbst nicht an die Notwendigkeit dieses Vorhabens, aber er ahnt, dass sich die Enge zu einer Belastung auswächst, der die Männer nicht gewachsen sind. Schon wird der Matrose Boyd von Visionen geplagt: „Da steht der Vogelmann in der Kajüte. Der Kapitän und die anderen sitzen im Kreis um ihn herum. Ich versteh nicht, was sie reden. Sie scheinen vorwurfsvoll. Einer fehlt. Ich zähle nochmal durch. Der Vogelmann antwortet mit leiser, klagender Stimme. Einer fehlt. Auf dem Boden liegt ein Schlafsack. Sie schnüren ihn auf. Alle beugen sich darüber. Ich trete heran. Da lieg ich in dem Schlafsack und bin tot.“
Christa Reinig (1926?2008), Schriftstellerin. Lyrik, Prosa, Hörspiele u.a. Kleine Chronik der Osterwoche (SDR/BR/DLF 1965), Das Aquarium (1967), Wisper (SDR/HR/SR/SWF 1968).
Ursendung: 18.02.1966
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