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Human Minded (19) Anna Politkowskaja – Mutige Journalistin auf Putins Todesliste

Originalhörspiel - ein Hörspiel -SR 2024


⏰ 12 Min.

🎤 Mit: Erzählerin: Solveig Jeschke
Anna Politkowskaja: Anna Jörgens
Annas Mutter: Celina Fries
Alexander Politkowskij: Benjamin Stolz
Dmitri Muratov: Jan Kröger
Oberstleutnant: Uwe Thoma
Tschetschenen-Rebell: Stefan Naas

Stellst du dich vor die geladene Kalaschnikow eines Terroristen, um Kinder zu schützen? Setzt du dein Leben aufs Spiel, um Menschen bei der Flucht in die Freiheit zu helfen? Was bringst du ein in unsere Gemeinschaft? Humane Gesinnung oder Ellenbogenmentalität? HUMAN MINDED erzählt jede Woche eine spannende Geschichte über außergewöhnliche Menschen, die Nächstenliebe und Uneigennützigkeit tatsächlich vorgelebt haben. Menschen, die trotz ihres großen Mutes und ihres selbstlosen Engagements dennoch weitgehend unbekannt sind. Menschen und ihre Geschichten, die du so schnell nicht wieder aus dem Kopf bekommst.

vAnna Politkowskaja. Die sich hingibt. Für die Wahrheit.

Eine wahre Geschichte.

Am 30. August 1958 kommt Anna Masepa zur Welt. In New York. Ihre Eltern sind Ukrainer. Sie arbeiten als sowjetische Diplomaten bei den Vereinten Nationen. Jahre später kehren die Eltern heim - mit ihrer Tochter. Anna lebt in Moskau. Behält aber ihren amerikanischen Pass. Schon als Teenager weiß sie, dass sie Journalistin werden will.

Annas Mutter: „Anna. Post für Dich. Sieht nach einem Brief von der Universität aus. Hm? Komm, mach auf!“

Anna: „Sehr geehrte Frau Masepa, mit Schreiben vom 26. Mai haben Sie haben sich um…. Wir teilen Ihnen hiermit mit… Mama, sie lassen mich zu! Ich hab‘ den Platz!“

Kurz vor dem Journalistik-Studium an der Lomonossov-Universität in Moskau lernt Anna Alexander Politkowskij kennen. Auf einer Party.

Anna: „Und. Was machst Du so, wenn Du nicht gerade feiern gehst?“

Alexander: „Ich studiere Journalistik.“

Anna: „Was studierst Du?“

Alexander: „Journalistik! Wieso fragst Du so? Schreckt Dich das ab?“

Anna: „Nein. Schreckt mich nicht ab. Ganz im Gegenteil.“

Anna und Alexander werden ein Paar. Mit 20 Jahren heiratet Anna und heißt von da an Anna Politkowskaja. Sie wird Mutter zweier Kinder. Doch die Rolle als Hausfrau missfällt ihr. Sie beginnt zu schreiben. Für verschiedene russische Zeitungen. Bei der Iswestija ist sie für die Leserpost zuständig. Aber Anna will mehr.

Anna: „Ich sitze hier nur in der Redaktion rum und erlebe die Welt irgendwie nur vom Hörensagen – aus zweiter Hand. Ich muss raus. Ich muss das wahre Leben aufstöbern. Draußen. Geschichten entdecken, um sie zu erzählen.“

1994 beginnt Annas Aufstieg bei der Wochenzeitung Obschtschaja Gazeta. Sie wird stellvertretende Chefredakteurin und leitet die Redaktion „Außerordentliche Vorfälle“. In ihren Berichten kritisiert sie auch die Politik der russischen Regierung. Sie sorgt für Aufsehen. Schließlich wirbt die oppositionelle Zeitung Novaja Gazeta um Annas Dienste. Mit Erfolg. Anna schreibt über Korruption, über autoritäre Politik, über mangelnde Meinungsfreiheit. 1999 unterbreitet ihr Dmitri Muratov ein Angebot. Muratov ist Chefredakteur der Novaja Gazeta.

Muratov: „Wir brauchen einen Sonderkorrespondenten. Oder besser: eine Sonderkorrespondentin! Ich habe dabei an Sie gedacht.“

Anna: „Wobei? Wobei haben Sie an mich gedacht?“

Moratov: „Kaukasus. Tschetschenien.“

Anna: „Ich soll in den Krieg?“

Moratov: „Wenn Sie sich das zutrauen.“

Anna: „Ja. Das tue ich. Gut.“

Anna Politkowskaja reist in den Nordkaukasus. Als Sonder-korrespondentin berichtet sie vom zweiten Tschetschenienkrieg, in dem sowohl Russen als auch Tschetschenen schwere Kriegsverbrechen und Menschrechtsverletzungen begehen. In Annas Reportagen stehen Menschen im Mittelpunkt, nicht Truppenbewegungen. Sie ist geübt, sich zu vernetzen, kennt Wege, an Informationen aus erster Hand zu kommen. Sie schreibt über den entsetzlichen Alltag in Tschetschenien. Spricht mit Flüchtlingen, mit verwundeten Zivilisten. Sie tauscht sich sowohl mit russischen Soldaten aus als auch mit tschetschenischen Kämpfern im Untergrund. Anna zeigt die dreckigsten Seiten des Krieges. Folter, Vergewaltigungen, Menschenhandel. Dabei lässt sie sich nicht auf eine Seite ziehen. Weder auf die des russischen Militärs noch auf die Seite der tschetschenischen Widerstandskämpfer. Mehr als 50 Mal fährt sie ins Kriegsgebiet. Und ihre Berichte weichen ab von den Darstellungen des Kremls. Neben ihren Reportagen für die Novaja Gazeta beginnt sie, Bücher zu schreiben.

Anna: „Dort, wo Unmenschlichkeit das Leben bestimmt, kann keiner auf Gnade und Barmherzigkeit hoffen.

Sie drückten ihre Zigaretten auf seinem Körper aus, rissen ihm die Nägel von den Fingern, ließen wassergefüllte Pepsi-Cola-Flaschen auf seine Nieren klatschen.

Die Welt, der Westen, die internationale Gemeinschaft haben sich zurückgezogen, erlauben unserer Regierung, in Tschetschenien alles zu tun, was sie will, und akzeptieren gleichzeitig die offizielle Lüge und Demagogie.“

Februar 2001. Anna wird in Vedeno von russischen Soldaten verhaftet. Es folgt ein stundenlanges Verhör.

Oberstleutnant: „Hör zu! Du sagst uns jetzt die Wahrheit! Wir können auch anders. Wir können hier auch alle ganz einfach über Dich herfallen, sollten wir Spaß daran haben. Und glaub‘ ja nicht, dass Deine Kinder in Sicherheit sind. Die kriegen wir auch! Sag uns die Wahrheit! Du arbeitest für Bassajew! Sag es!“

Anna sagt es nicht. Denn sie arbeitet nicht für Bassajew. Schamil Bassajew ist islamischer Terrorist und tschetschenischer Rebellenführer. Ein brutaler, gnadenloser Verbrecher. Für drei Tage sperrt man Anna in einen Bunker. Dann kommt sie frei.

Oberstleutnant: „Wäre es nach mir gegangen, hätte ich Dich erschossen.“

Trotz vieler Drohungen macht Anna weiter. Ihr geht es schlicht um die Wahrheit. Sie stellt Ramzan Kadyrov an den Pranger, den tschetschenischen Premier. Er terrorisiere das ganze Land. Und Moskau unterstütze ihn dabei. Zudem macht Anna Vladimir Putin verantwortlich für die Verbrechen in Tschetschenien, dass er foltern lässt und kremlkritische Journalisten verfolgt.

Anna: „Wenn ich nicht mehr schreibe, haben meine Feinde ihr Ziel erreicht.“

Oktober 2002. Im Moskauer Dubrowka-Theater wird das Musical „Nord-Ost“ gespielt. Im zweiten Akt stürmen Terroristen das Theater. Sie bringen knapp 800 Theaterbesucher in ihre Gewalt.

Tschetschenen-Rebell: „Wir kommen von der 29. Division – aus Tschetschenien. Und ja: Wir sind Selbstmordattentäter. Russland hat uns Tschetschenen das Recht auf ein eigenständiges Land genommen. Ein Recht, das uns Allah geschenkt hat. Und dieses Recht werden wir uns zurückholen.“

Die Verhandlungen ziehen sich hin. Dabei besteht die russische Regierung auf Freilassung aller Geiseln. Die Terroristen hingegen wollen nur die Ausländer gehen lassen. Anna Politkowskaja wird als Vermittlerin hinzugezogen. Sie ergreift wie immer Partei für die Opfer und appelliert an die tschetschenischen Geiselnehmer, die unschuldigen Menschen im Theater freizulassen. Die Terroristen sind tief enttäuscht von Anna.

Tschetschenen-Rebell: „Wir sind nicht nach Moskau gekommen, um Geiseln zu töten oder auf russische Spezialtrupps zu schießen. Wir haben in Tschetschenien schon genug gekämpft. Nein: Wir haben nur ein einziges Ziel: Wir wollen dem Krieg ein Ende setzen. Das ist es.“

Auch auf russischer Seite stoßen Annas dringende Bitten um eine friedliche Lösung auf taube Ohren. Nach Tagen der Besatzung stürmt eine russische Spezialeinheit das Theater. Zuvor haben sie Betäubungsgas in das Gebäude eingeleitet. Gas, das die Atmung schwächt, sie sogar zum Stillstand bringen kann. Mehr als 100 Menschen sterben.

September 2004. Tschetschenische Rebellen haben eine Grundschule in Beslan überfallen. Beslan liegt in der Kaukasusrepublik Nordossetien. 1200 Menschen sind in der Gewalt der Rebellen. Über Tage. Bei der Erstürmung der Schule durch russische Sicherheitskräfte werden 331 Menschen getötet, unter ihnen 186 Kinder. Anna will die Hintergründe dieser Tragödie recherchieren. Sie macht sich auf nach Beslan. Auf dem Flug reicht man ihr eine Tasse Tee. Mittlerweile isst und trinkt Anna eigentlich nur noch Selbstmitgebrachtes. Diesmal macht sie eine Ausnahme und verliert das Bewusstsein. Sie ist Opfer eines Giftanschlags. Sie kommt ins Krankenhaus und nicht zur Grundschule in Beslan. Nach wie vor lässt sich Anna nicht einschüchtern. Sie setzt ihre Arbeit konsequent fort, wobei sie die lauernde Gefahr nun täglich wahrnimmt.

Anna: „Ich weiß. Ich könnte mir mit meinem amerikanischen Pass ein schönes Leben machen. Irgendwo im Westen. Aber das fühlt sich nicht gut an, nicht richtig. Irgendwie ungerecht. Wenn ich getötet werde, sucht den Mörder im Kreml.“

Moskau, Samstag, 7. Oktober 2006. Putins Geburtstag. Anna Politkowskaja kommt vom Einkaufen zurück. Zurück nach Hause. Sie steigt in den Fahrstuhl und fährt rauf zur Etage ihrer Wohnung. Als sie aus dem Fahrstuhl kommt, steht ihr ein junger Mann gegenüber. Zwei Meter entfernt. Er feuert. Fünf Schüsse aus einer Pistole der Marke Makarow. Der erste Schuss geht daneben, der zweite in Annas Schulter. Die Schüsse drei und vier sind tödlich. Sie gehen in die Brust. Der Attentäter gibt einen fünften Schuss ab. Den sogenannten Kontrollschuss. In die Schläfe. Am 54. Geburtstag des russischen Präsidenten Vladimir Putin stirbt Anna Politkowskaja im Alter von 48 Jahren.

Die Polizei fahndet nach dem Täter. Zunächst erfolglos. Erst viel später nehmen die Behörden Annas Mörder und seine mutmaßlichen Komplizen fest. Es kommt zu Verurteilungen. Die eigentlichen Drahtzieher der Ermordung aber sind nach Meinung vieler Menschenrechtler nie dingfest gemacht worden.





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