Human Minded (21) Fannyann Eddy - Im Kampf für die Vielfalt der Liebe
Originalhörspiel - ein Hörspiel -SR 2024
⏰ 13 Min.
Stellst du dich vor die geladene Kalaschnikow eines Terroristen, um Kinder zu schützen? Setzt du dein Leben aufs Spiel, um Menschen bei der Flucht in die Freiheit zu helfen? Was bringst du ein in unsere Gemeinschaft? Humane Gesinnung oder Ellenbogenmentalität? HUMAN MINDED erzählt jede Woche eine spannende Geschichte über außergewöhnliche Menschen, die Nächstenliebe und Uneigennützigkeit tatsächlich vorgelebt haben. Menschen, die trotz ihres großen Mutes und ihres selbstlosen Engagements dennoch weitgehend unbekannt sind. Menschen und ihre Geschichten, die du so schnell nicht wieder aus dem Kopf bekommst.
Sierra Leone. Anfang der 90er Jahre. Fannyann Eddy bereitet ihre Flucht vor. Sie muss ihre Heimat verlassen. Der Bürgerkrieg in Sierra Leone fordert zigtausend Todesopfer. Korruption und Diamantenschmuggel, soziale Ungerechtigkeit, Spaltung in der Gesellschaft und weitverbreitete Armut. All das hat zu einem brutalen Widerstandskampf geführt. An seiner Spitze: Foday Sankoh.
Sankoh: „Seit mehr als 30 Jahren, seit unserer Unabhängigkeit, verfolgen die Politiker in unserem Land nur zwei Ziele: Korruption und Vetternwirtschaft. Damit muss Schluss sein.“
Sankoh ist Anführer der Rebellenbewegung RUF, die Revolutionary United Front. Viele Sierra Leoner feiern ihn als Befreier, andere halten auch ihn für im Grunde korrupt. Bis zu 45.000 Soldaten kämpfen über Jahre unter Sankohs Kommando. Auch Kinder müssen in den Krieg.
Als Teenager wird Fannyann zum Flüchtling. Sie hat nur eine Perspektive, nur eine Idee: Sie will überleben. Mehr als anderthalb Millionen Menschen fliehen in den 90er Jahren aus Sierra Leone. Nach einer beinahe endlosen Odyssee kommt Fannyann schließlich in einem Flüchtlingslager in Simbabwe unter. Sie lernt sich zu wehren. Gegen übergriffige Männer, die ihr zu nah kommen.
Fannyann: „Hey, noch einen Schritt und ich werde kratzen und beißen. Ich werde schreien wie ein abgeschlachteter Stummelaffe. Meine Brüder und Cousins warten nur auf Typen wie dich.“
Fannyann ist eine junge Frau, die ihre Identität längst verstanden, längst verinnerlicht hat. Und sie steht zu ihr. Ohne große Scheu sagt sie, dass sie lesbisch ist. In ihrer Heimat stehen sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Lesbische Liebe hingegen wird im Gesetzbuch gar nicht erwähnt. Nur ein Hinweis auf die geringe Beachtung der Frauen in Sierra Leone. Fannyann ist fest entschlossen, eines Tages in ihr Heimatland zurückzukehren, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, für Menschenrechte zu kämpfen.
In Esther findet Fannyann ihre große Liebe. Esther Chikalipa, die ein Kind mit in die Beziehung bringt. Gemeinsam ziehen Esther und Fannyann ihren Sohn groß.
Esther: „Fanny. Warum willst Du unbedingt zurück? Zurück nach Sierra Leone? Was treibt Dich an?“
Fannyann: „Hm. Es kann ja sein, dass Du mich für eine Träumerin hältst. Aber ich mag sie nicht aufgeben, meine Träume. Dass mehr und mehr Frauen befreit werden, weißt Du? Dass sie festhalten dürfen an dem, woran sie glauben. Danach leben dürfen. Ohne Angst. Ich träume von einer Welt ohne Diskriminierung, ohne Folter und Gewalt.“
Fannyann bereitet ihre Rückkehr nach Sierra Leone vor. In Harare sucht sie das Büro der Organisation Gays and Lesbians of Zimbabwe auf. Dort trifft sie Keith Goddard, den Direktor. Sie bittet ihn um Unterstützung beim Aufbau eines ebensolchen Verbandes in Sierra Leone.
Goddard: „Ich finde es bemerkenswert, dass Du das tun willst. Du selbst hast doch eigentlich nichts zu befürchten, solange Du Dein Leben lebst und Dich dabei ruhig verhältst. Allerdings - also: Wenn Du Deine Stimme erhebst und laut wirst, dann… ja dann kann Dir alles Mögliche drohen.“
Fannyann: „Ich weiß. Man wird mir drohen. Aber im Namen der Liebe, unserer Liebe, darf und werde ich mich nicht einschüchtern lassen. Solange Menschen getötet werden, nur weil sie nicht in das Heteromuster passen, solange kann ich keine Ruhe finden und keine geben.“
Januar 2002. Der Bürgerkrieg in Sierra Leone ist zu Ende. Einer der verheerendsten Konflikte im postkolonialen Afrika. Allein 45.000 Zivilisten haben ihr Leben verloren. Kinder, zur Waffe gezwungen, sind traumatisiert. Junge Frauen sind Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission wird eingesetzt, um den Opfern von Kriegsverbrechen eine Stimme zu geben. Mühsam arbeitet man am Wiederaufbau des Landes. Mit ambitionierten Plänen begibt sich Fannyann Eddy zurück in ihr Heimatland. Sie erreicht Freetown und vernetzt sich schnell in der queeren Szene. Sie gründet die SLLGA, die Sierra Leone Lesbian and Gay Association, die erste Organisation dieser Art im Land.
Fannyann: „Wir müssen das alles dokumentieren. Die Schläge, die Diskriminierungen, die willkürlichen Verhaftungen. Schwarz auf weiß sollen sie das haben und sich damit auseinandersetzen.“
Zudem organisieren Fannyann und ihre Mitstreiter psychologische Betreuung für verängstigte Freundinnen und Freunde in der Untergrund-gemeinschaft. Ihre Appelle richten sie direkt an die Regierungs-ministerien.
Fannyann: „Kümmern Sie sich endlich um die Gesundheit und um die Menschenrechte von Schwulen und Lesben. Die Unterdrückung, der wir ausgesetzt sind, wird von Ihnen ja auch noch staatlich gefördert. Setzen Sie dem Ganzen ein Ende.“
Je mehr sich Fannyann engagiert, desto öfter erhält sie Drohbriefe. Man werde sie verprügeln, mundtot machen, abstechen, hinrichten. Doch sie gibt nicht nach, will sich nicht aufhalten lassen. Sorgen macht sie sich vielmehr um die Sicherheit ihrer Familie. Fannyann ist viel unterwegs, aber sie bleibt eine treusorgende Mutter.
Fannyann: „Hallo, mein Schatz.“
Sohn: „Hallo. Wann kommst Du zurück?“
Fannyann: „Übermorgen. Übermorgen bin ich wieder bei Dir. Wie war Dein Tag? Was hast Du unternommen?“
Sohn: „War ganz okay. Wir haben Fußball gespielt. Jetzt hab‘ ich Hunger.“
Fannyann: „Ja klar. Fußball macht hungrig. Gibt bestimmt gleich was zu essen. Weißt Du was? Ich rufe Dich morgen wieder an, um dieselbe Zeit, und dann verrätst Du mir, was ich Dir mitbringen soll. Okay?
Sohn: „Ja. Aber ich weiß jetzt schon...“
Fannyann: „Nein. Sag’s mir besser morgen. Wenn es dann immer noch derselbe Wunsch ist, dann ist er richtig. Okay? Gute Nacht, mein Schatz.“
Sohn: „Gute Nacht.“
2004 wird zum Schicksalsjahr für Fannyann Eddy. Im Februar reist sie nach Johannesburg, um einen Vortrag beim All Africa Symposium zu halten. Sie prangert vor allem die Gesetzgebung in Sierra Leone an.
Fannyann: „Offensichtlich sind queere Kriminelle die böseren im Vergleich zu heterosexuellen Kriminellen. Eine Ungleichheit, die dazu führt, dass dann auch Übergriffe auf queere Menschen weniger verwerflich sind. Ich verstehe das nicht. Wir haben in Sierra Leone eine Unrechtsprechung.“
Fannyann wird in das Komitee der All Africa Rights Initiative gewählt. Zudem engagiert sie sich in der Coalition of African Lesbians, die sich in Namibia zusammenfindet. Im April reist sie nach Europa. Nach Genf. Fannyann Eddy spricht vor der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen.
Fannyann: „Wir existieren. Doch durch das Abstreiten unserer Existenz müssen wir in ständiger Angst leben: Angst vor der Polizei und staatlichen Stellen, die die Macht haben, uns allein aufgrund unserer sexuellen Orientierung hinter Gitter zu bringen. Wir haben Angst davor, dass unsere Familien uns verleugnen. Wir leben in Angst in unserem Umfeld, in dem wir permanenten Schikanen und Gewalt durch Nachbarn und andere ausgesetzt sind. Ihre homophoben Angriffe werden von staatlicher Seite nicht bestraft.“
Fannyann sieht in bewegte Gesichter und gleichzeitig beobachtet sie, wie UN-Kommissarinnen und -Kommissare betreten wegschauen. Sie schließt ihre Rede mit einem emotionalen Appell.
Fannyann: „Schweigen macht verletzbar. Sie, die Mitglieder der Menschenrechtskommission, können das Schweigen brechen. Sie können anerkennen, dass es uns gibt – in Afrika und auf jedem Kontinent – und dass tagtäglich Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität begangen werden. Sie können uns dabei helfen, diese Verbrechen zu bekämpfen und unsere vollständigen Rechte und Freiheiten in jeder Gesellschaft zu erlangen – auch in meinem geliebten Sierra Leone.“
Die erhoffte Unterstützung der Menschenrechtskommission bleibt aus.
Mittwochnacht. 29. September 2004. Freetown City Center. Drei Männer brechen in das Büro der Sierra Leone Lesbian and Gay Association ein. Zur Tatzeit ist Fannyann im Büro. Allein. Den Einbrechern ausgeliefert. Die Männer vergewaltigen sie. Anschließend erstechen sie Fannyann, verstümmeln sie, brechen ihr das Genick. Es passiert genau das, was in zahlreichen Drohbriefen gestanden hat. Man macht die 30jährige Aktivistin mundtot, man sticht sie ab, man richtet sie hin. Einen der Täter nimmt die Polizei später fest. Doch ihm gelingt die Flucht. Die Behörden weigern sich, den Mord als homophobes Hassverbrechen zu behandeln.
Die Sierra Leone Lesbian and Gay Association macht da weiter, wo Fannyann Eddy mit ihrer Arbeit aufgehört hat. Der Fannyann-Poetry-Award fördert queere Dichter. Und 2007 gründet man in Deutschland die Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Sie setzt sich weltweit für die Rechte queerer Menschen ein.
Fannyann Eddy. Ein Leben für die Menschenrechte.
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