Human Minded (22) Patrice Lumumba - Symbolfigur der afrikanischen Unabhängigkeit.
Originalhörspiel - ein Hörspiel -SR 2024
⏰ 14 Min.
Stellst du dich vor die geladene Kalaschnikow eines Terroristen, um Kinder zu schützen? Setzt du dein Leben aufs Spiel, um Menschen bei der Flucht in die Freiheit zu helfen? Was bringst du ein in unsere Gemeinschaft? Humane Gesinnung oder Ellenbogenmentalität? HUMAN MINDED erzählt jede Woche eine spannende Geschichte über außergewöhnliche Menschen, die Nächstenliebe und Uneigennützigkeit tatsächlich vorgelebt haben. Menschen, die trotz ihres großen Mutes und ihres selbstlosen Engagements dennoch weitgehend unbekannt sind. Menschen und ihre Geschichten, die du so schnell nicht wieder aus dem Kopf bekommst.
Montag, 20. Juni 2022. Belgiens König Philippe empfängt Angehörige von Patrice Lumumba. Er übergibt ihnen eine Schatulle. Darin ein Zahn - der Lumumba vor mehr als 60 Jahren aus dem Mund gerissen worden war. Nun soll der Zahn zurück in den Kongo.
Kasai. Eine Provinz im Kongo, der Anfang der 40er Jahre noch Belgisch-Kongo heißt. Hier wächst Patrice Lumumba auf. Seine Familie gehört der kleinen ethnischen Gruppe der Tetela an. Lumumba ist ein besonders aufmüpfiger Schüler. So kommt er zu seinem Namen, der rebellisches Team bedeutet. Den Namen nimmt Lumumba gerne an. In der Tat ist er ein Rebell. Oftmals korrigiert er seine Lehrer vor versammelter Mannschaft und genießt es geradezu.
Lumumba: „Nein. Das ist völliger Unsinn, was Sie da erzählen. Victor Hugo sagt es anders. Hugo sagt: Den Menschen fehlt nicht die Kraft. Es fehlt ihnen der Wille.“
Wegen Ungehorsams wird Lumumba von der Schule geworfen. Anschließend schlägt er eine Beamtenlaufbahn bei der Post ein. Nebenher schreibt Lumumba für kongolesische Zeitschriften. In seinen Essays und Gedichten stellt er sich der belgischen Kolonialherrschaft und dem Imperialismus im Allgemeinen entgegen.
Lumumba: „Dich hat man nur eine Lektion, nur ein Motto gelehrt. Sklavenarbeit oder Tod. Du bist unzählige Tode gestorben, lagst in Dschungeln tief verborgen, und der Morast umarmte Dich ganz langsam.“
Mit 30 Jahren steigt Lumumba in die Politik ein. 1955 wird er Mitglied der Belgischen Liberalen Partei im Kongo. Zudem Regionalpräsident der kongolesischen Gewerkschaft der Regierungsangestellten. Als er 1956 von einer Studienreise in Belgien in den Kongo zurückkehrt, verhaftet man ihn. Lumumba hat zweieinhalbtausend Dollar unterschlagen. Als Buchhalter bei der Post in Stanleyville, dem heutigen Kisangani. Er muss für zwölf Monate ins Gefängnis. Nach seiner Freilassung ist Lumumba einer der Mitbegründer der kongolesischen Nationalbewegung MNC, dem Mouvement National Congolais.
Lumumba: „Wir verfolgen die Idee einer unabhängigen Republik Kongo. Also den Rückzug der belgischen Kolonialisten. Wir werden unsere Regierung afrikanisieren. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes muss staatlich gesteuert werden, und außenpolitisch werden wir uns auf keine Seite ziehen lassen. Die Republik Kongo soll ein neutraler Staat werden.“
Ganz Afrika bäumt sich mehr und mehr gegen die Fesseln des Kolonialismus auf. 1958 lädt der ghanaische Präsident Kwame Nkrumah zur All-African-Peoples‘ Conference ein. Hier kommen sich Lumumba, Nkrumah und Guineas Präsident Ahmed Sekou Toure näher und teilen die panafrikanische Idee, die Einheit aller afrikanischer Menschen unabhängig von Ethnie und Nationalität. Beraten werden sie von der Aktivistin und Bürgerrechtlerin Andrée Blouin. Ihr Sohn ist an Malaria gestorben, weil die französisch-äquatorialafrikanische Kolonialverwaltung ihm das lebensrettende Medikament vorenthalten hatte. Es stehe allein Europäern zu.
Blouin: „Der Tod meines Sohnes hat mich politisiert wie nichts Anderes – wissen Sie. Als ich meinen kleinen sonnengebräunten Jungen verlor, da erkannte ich endlich das Muster. Mein Schicksal war genau das meiner Landsleute.“
Lumumba: „Sie haben Recht, Madame Blouin. Wir müssen uns wehren gegen die Eindringlinge.“
Das Versprechen, Kongo in die Freiheit zu entlassen, steht zu diesem Zeitpunkt seit einem dreiviertel Jahr im Raum. Der belgische König Baudouin selbst hat es in einer Rede im Januar 1959 abgegeben.
König Baudouin: „Wir werden die kongolesische Bevölkerung ohne Ausflüchte in die Unabhängigkeit führen, in Wohlstand und Frieden.“
Doch wann?
König Baudouin: „Ohne schädlichen Aufschub, aber auch ohne gedankenlose Eile.“
Der Bevölkerung geht es nicht schnell genug. Lumumba findet im Kongo überwältigend viele Anhänger. Die Menschen begehren auf und versammeln sich zu antikolonialen Protestmärschen, bei denen es auch zu Ausschreitungen kommt. Wie im Oktober 1959 in Stanleyville – mit 30 Toten. Die Polizei nimmt Lumumba als mutmaßlichen Anstifter des Aufstands fest. Er soll für sechs Monate in Haft. Gleichzeitig kündigt die belgische Regierung für Dezember Regionalwahlen an. Lumumba siegt. Aus dem Gefängnis heraus.
Sonntag, 3. Januar 1960. Die belgische Regierung gibt bekannt, einen Runden Tisch einzuberufen, an dem der Übergang des Kongos von der Kolonialherrschaft zur Unabhängigkeit verhandelt werden soll. Diese Konferenz beginnt Mitte Januar, und Lumumba sitzt mit am Runden Tisch. Denn man hat ihn, um die Ziele der Konferenz nicht zu gefährden, aus der Haft entlassen und nach Brüssel reisen lassen. Zehn Tage später gibt es ein Ergebnis.
Reporter: „Soeben haben die Teilnehmer des belgisch-kongolesischen Runden Tischs die Vereinbarungen ihrer Beratungen bekanntgegeben. Demnach wird Belgisch-Kongo in seine Unabhängigkeit entlassen. Als Unabhängigkeitsdatum hat die Konferenz den 30. Juni 1960 festgelegt. Zuvor werden in Belgisch-Kongo nationale Wahlen stattfinden. Und zwar zwischen dem 11.und dem 25. Mai.“
Lumumbas Partei MNC gewinnt die Wahlen im Mai haushoch. Doch mit der Souveränität des Kongo ist es nicht weit her. Es ist König Baudouin, der Lumumba zum Regierungschef macht und ihm den westlich-orientierten Joseph Kasavubu als Präsident vor die Nase setzt. Der Gedanke dahinter: Kongo formal zu befreien, aber gleichzeitig die Kontrolle über die unermesslichen Bodenschätze des Landes zu behalten. Doch schon die Unabhängigkeitsfeier am 30. Juni 1960 in Leopoldville, dem heutigen Kinshasa, macht den Belgiern einen Strich durch die Rechnung. König Baudouin spricht als Ehrengast auf der Feier.
König Baudouin: „Die Unabhängigkeit des Kongo ist der Erfolg des Werkes des genialen Leopold II. Von ihm begonnen mit hartnäckigem Mut und von Belgien mit Ausdauer zu Ende geführt. Gefährden Sie die Zukunft nicht durch übereilte Reformen. Und scheuen Sie sich nicht, zu uns zu kommen. Wir werden Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen.“
Lumumba fühlt sich herausgefordert. Denn der vermeintlich geniale König Leopold II. hat den Kongo 75 Jahre zuvor in Beschlag genommen und aufs Übelste geplündert. Mindestens acht Millionen Kongolesen sind dabei ermordet worden. Entschlossen geht der neu gewählte Premierminister Patrice Lumumba zum Rednerpult.
Lumumba: „Man hat uns mit Ironie behandelt. Mit Herablassung und mit Beleidigungen. Wir sind geschlagen worden. Morgens, mittags, abends. Geschlagen worden, weil wir Neger sind. Wer wird die Erschießungen vergessen und die Kerker, in denen jene schmachteten, die sich der Ausbeutung nicht unterwerfen wollten? Wir haben einen gerechten und edlen Kampf gekämpft. Und wir sind stolz auf diesen Kampf. Der unerlässlich war, um der demütigenden Sklaverei ein Ende zu setzen.“
Sehr schnell muss der Westen erkennen, dass der Plan, den Kongo weiterhin zu kontrollieren, nicht aufgeht. Lumumba will Bergbauunternehmen und große Plantagen verstaatlichen. Er will die reichen Bodenschätze – Uran, Kupfer, Gold, Diamanten, Zink – für seine Landsleute sichern. Die Tage der Ausbeutung durch die Belgier und deren Verbündeten im Westen seien gezählt. Die USA steuern dagegen. Die CIA bezahlt kongolesische Politiker dafür, im Land Stimmung gegen Lumumba zu machen. Zudem engagiert sie Mittelsmänner, die Protestmärsche organisieren und dafür sorgen sollen, dass es Gewalt auf den Straßen gibt. Keine zehn Tage nach der Unabhängigkeitsfeier landen belgische Fallschirmjäger mit Unterstützung der USA im Kongo. Zum Schutz belgischer Zivilisten, wie es heißt.
Am 11. Juli muss Lumumba die nächste Niederlage einstecken. Der Regionalpräsident der Provinz Katanga, Moise Kapenda Tschombe, meldet sich zu Wort.
Tschombe: „Die Provinz Katanga erklärt hiermit ihre politische Unabhängigkeit vom Kongo. Wir sind nicht länger gewillt, uns von einer kommunistischen Regierung ins Verderben schicken zu lassen.“
Tschombe ist ein alter Gegenspieler Lumumbas. Bei der Abspaltung der Provinz Katanga hat er die Unterstützung der Belgier und US-Amerikaner. Katanga ist die rohstoffreichste Gegend im Kongo. Lumumba wendet sich an die Vereinten Nationen.
Lumumba: „Die Lage im Kongo gerät aus den Fugen. Schicken Sie UN-Truppen, um mir zu helfen, das Land zu beruhigen.“
Die USA und Frankreich verhindern das. Vom Westen enttäuscht sucht Lumumba die Unterstützung der Sowjetunion. Damit überschreitet er eine rote Linie im Kalten Krieg. Auf Anordnung des US-Präsidenten Eisenhower telegrafiert die CIA an ihr Büro im Kongo:
Telegramm: „Im Interesse der freien Welt haben wir beschlossen, dass die Ermordung Lumumbas unser vorrangiges Ziel ist.“
Präsident Kasavubu entlässt am 5. September Lumumba als Premierminister. Zudem stellt man Lumumba unter Hausarrest.
Lumumba: „Das ist Unrecht. Ich bin gewählt. Das kongolesische Volk steht hinter mir.“
Mittwoch, 14. September 1960. Mit Unterstützung Belgiens und der USA putscht sich Armeegeneral Sese Seko Mobutu an die Macht. Dabei lässt er Präsident Kasavubu im Amt und sichert sich so die Anerkennung seiner Regierung durch die Vereinten Nationen. Derweil versucht Lumumba dem Hausarrest zu entkommen. Das Militär verhaftet ihn, und General Mobutu lässt Lumumba und zwei seiner Vertrauten ausliefern – an Lumumbas politischen Gegenspieler: Tschombe in der Provinz Katanga. Dort werden die Gefangenen schwer misshandelt und schließlich an eine Waldhütte gebracht.
Lumumba: „Sie werden uns jetzt töten. Richtig?“
Soldat: „Richtig. Das werden wir.“
Am Dienstag, den 17. Januar 1961 wird Patrice Lumumba von einem Erschießungskommando hingerichtet. Da ist er gerade 35 Jahre alt. Um die Ermordung zu verschleiern, zerhacken belgische Soldaten den Leichnam und lösen ihn in Batteriesäure auf. Zuvor reißt einer der Soldaten Lumumba einen Schneidezahn raus. Als Trophäe, die er bis zu seinem Tod im Jahr 2000 für sich behält. 2002 entschuldigt sich Belgien beim kongolesischen Volk für seine Rolle bei der Ermordung Lumumbas.
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