Was hilft es zu überleben, wenn man nicht vergessen kann? Alles scheint im Leben der Halbjüdin Vera Kroner auf diese Frage hinauszulaufen. Ende der 1930er Jahre ist sie ein junges Mädchen in Novi Sad. In der größten Stadt der Backa, der Tiefebene zwischen Serbien und Ungarn, gelegen an einem Donauknie, tönt bereits der Vorkrieg. Serben, Ungarn und Deutsche machen sich die Lufthoheit streitig. Dazwischen stehen, schon in der Defensive, viele Menschen jüdischen Glaubens. Noch gelingt auch Vera eine scheinbar normale Jugend; geprägt vom spröden Reiz der Tanzstunden, von Küssen in Toreinfahrten und der Verunsicherung ob des sich scheinbar stündlich wandelnden Körpers, dem der Geist kaum folgen kann.
Als die deutsche Wehrmacht Jugoslawien 1941 besetzt und Ungarn die Backa annektiert, beginnen auch für sie Jahre der Isolation. Das Handelsgeschäft des jüdischen Vaters wird einem Kommissar unterstellt, aber noch immer gibt es eine Hausangestellte, die den Kindern das Frühstück bringt. Veras Welt - schon in frühen Jahren zwischen dem jüdischen Vater und der Mutter, einer Donauschwäbin, in lauter widersprüchliche Wünsche, Sprachen und Überlieferungen verstrickt - zerfällt in eine Agonie des Wartens. Des Wartens auf eine Zukunft, die kaum anderes als den Untergang bereithalten kann. Im Mai 1944 ist es so weit: Deutschland besetzt das abtrünnige Ungarn und die Deportationen beginnen. Veras Familie wird nach Ausschwitz verschleppt. Sie selbst überlebt das Lager als Zwangsprostituierte.
Ein Jahr später, nach der Befreiung des Lagers, kommt sie nach Novi Sad zurück. Während um sie die gierige Lebensfreude der Davongekommenen Raum greift - gepaart mit den Vorboten des titoschen Kommunismus und den immer gleichen Zumutungen menschlichen Kleinmuts - driftet Vera ohne Anker durch ihr Leben. Gebunden allein an ihren Jugendfreund Sredoje; als ehemaliger Partisan und Erotomane streift er ähnlich entwurzelt durch die Nachkriegszeit. Als er sie einmal fragt, ob sie sich denn mit all dem Grauen habe abfinden können, erwidert sie: "Sicher habe ich mich abgefunden, ich bin ja am Leben".
Aleksandar Tisma wurde am 16.01.1924 in Novi Sad geboren. Die Elternkonstellation ähnelt der seines Romans: Der Vater war ein serbischer Kaufmann christlichen Glaubens, die Mutter Jüdin. Darüber hinaus existiert eine Reihe weiterer Parallelen zu Handlungselementen des Romans, so lernte auch Tisma, wie die Hauptfiguren seines Romans, Deutsch bei einer Privatlehrerin. Dass sich an das Abitur anschließende Studium konnte Tisma wegen des Krieges nicht beenden, er schloss es 1954 in Belgrad mit einem Diplom in Anglistik ab. Danach arbeitete er als Lektor und Redakteur; seine Bücher erschienen ab den 1970er Jahren in Serbien und in deutscher Übersetzung ab 1991, die - in den herausragenden Übersetzungen Barbara Antkowiaks - schnell eine breite Leserschaft gewannen. Besondere Resonanz erzielten neben "Der Gebrauch des Menschen" (1991), "Kapo" (1997) und "Treue und Verrat" (1999). Sein Werk gilt heute als Teil der Weltliteratur; Tisma gelang es exemplarisch, die individuelle und intergenerationelle Last, die kriegerische Gewaltexzesse und die Shoa in den Menschen hinterließen, erfahrbar zu machen. Tisma starb am 16.02.2003 in Novi Sad.
Ursendung: 28.04.2025
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 28.04.2025
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