Bei den Recherchen zu dem Ausstellungsprojekt "Marcel Duchamp / Le Mystère de Munich? stieß Rudolf Herz auf eine Postkarte, die Duchamp am 25. August 1912 nach Hause schickte: "Hier unaufhörlicher Regen, kalt.? 100 Tage, von 21. Juni bis Ende September 1912 war Duchamp in München, an dem Ort, den er später als "Schauplatz meiner totalen Befreiung? beschreiben sollte. Eingemietet in der Wohnung eines Ingenieurs und technischen Zeichners bahnte sich unter dem Eindruck einer ganz unerwarteten und inspirierenden Begegnung mit der kühlen abstrakten Welt der Technik eine drastische Wende im Werk des Künstlers an. Fortan suchte Duchamp jede persönliche Handschrift zu vermeiden, veranstaltete Experimente mit dem Zufall und entdeckte den Geist der Ironie. Gleichzeit war diese Zeit von einem Psychodrama überschattet. Vor seiner Abreise nach München hatte Duchamp sich in Gabriella Picabia, die Frau seines besten Freundes, verliebt und musste nun erfahren, dass diese Liebe unerwidert blieb. Über diese privaten Erfahrungen hat Duchamp zeitlebens nicht gesprochen, erst durch die Äußerungen von Gabriella Picabia in hohem Alter weiß man von der problematischen Liebesaffäre, für die der verregnete Sommer 1912 eine passende Grundierung abgab. Tatsächlich herrschte in Bayern in diesen Monaten außergewöhnlich schlechtes Wetter, wie aus den überlieferten Unterlagen des meteorologischen Landesamtes hervorgeht. Rudolf Herz erklärt das spröde Zahlenwerk der Meteorologen zur Partitur, die in einer freien Interpretation von dem Duo 48nord hörbar gemacht wird. Die Phase künstlerischen Umbruchs und emotionaler Belastung in der Biographie Duchamps wird dabei aufgegriffen und der Spannungszustand zwischen abstrakt-objektivierender Technologie und individuellem Tun ausgehend von den Daten zu Lufttemperatur, Luftdruck, Wind, Bewölkung des Sommers 1912 gestaltet: "Ein streng formalisiertes, aus den Wetterdaten abgeleitetes Klanggerüst wird mit der Unmittelbarkeit spontaner www.br.de/radio/bayern2/sendungen/hoerspiel-und-medienkunst 15 instrumentaler, also manueller, sowie stimmlicher Hervorbringung von Klängen und Geräuschen konfrontiert. Daraus entsteht eine Skala unterschiedlich scharf gezeichneter Kontraste, Interferenzen und klanglicher Schwebezustände, die in einem vielschichtigen Klangbild miteinander verwoben werden. Verschiedenen Aufnahme-, Reproduktions- und Transformationstechnologien steht ein Instrumentalensemble gegenüber, das die meteorologischen Daten spieltechnisch umsetzt. Schließlich wird die Skala der Instrumentalklänge durch Artikulationsprozesse zweier Sänger ins Stimmliche hinein erweitert, denen Fragmente der meteorologischen Beschreibungen als Textgrundlage dienen.? (48nord)
Rudolf Herz, geb. 1954, Bildhauer und Autor. Kunststudium an der Akademie der Bildenden Künste München, Promotion an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg, Lehre an Hochschulen, Beteiligung an Ausstellungen im In- und Ausland.
Ulrich Müller (geb. 1957) und Siegfried Rössert (geb. 1955) gründeten 1998 die Gruppe 48nord, mit dem Ansatz, Rock- und Experimentalmusik miteinander zu verschmelzen. Teilnahme an internationalen Festivals mit Musikern wie Jeff Parker (Tortoise), Bennie Maupin oder Charlotte Hug. Komposition von Ballett- und Theatermusiken sowie radiophonen Stücken, u. v. a. Terminus (DKultur 2011).
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