Der Schatten des Körpers des Kutschers
Hörspielbearbeitung - ein Hörspiel von Peter Weiss, BR 2009 - der Hörverlag 2011
Auf einem Gutshof, ein paar Fahrstunden entfernt von der Stadt, leben eine Haushälterin, ein Hausknecht, ein Hauptmann, ein Doktor, ein Schneider, Herr Schnee, eine vierköpfige Familie und der Ich-Erzähler. Land wird bearbeitet, Tiere werden gefüttert, es wird gekocht, man kommt zum Essen in die Küche. Alles scheint, wie es ist. Die minutiösen Beschreibungen der Örtlichkeit, der Bewohner und ihrer Alltagsrituale jedoch lassen ahnen, dass es mit ihrem Mikrokosmos nicht zum Besten steht. Ein alptraumhafter Druck lastet auf allem, auf der Landschaft, auf den Menschen. Jeden Augenblick könnte die Katastrophe hereinbrechen. Bisweilen flieht der Ich-Erzähler aus dieser Welt, indem er sich Salzkörner in die Augen streut. Durch einen Schleier von Tränen sieht er dann neue Bilder. Doch die Wirklichkeit holt ihn schnell wieder zurück in seine Welt. Mit fast pedantischer Akribie sucht er die ihn umgebende monströse Unwirklichkeit zu bannen, sie sich einzuverleiben und so zugleich vom Leib zu halten. Doch es gelingt ihm nicht. Immer wieder wird er ins skurrilste Geschehen verwickelt, muss auch mit ansehen, wie der Vater den Sohn schlägt, muss konstatieren, dass sich an diesem Ort zwischen seinen schemenhaften Protagonisten menschliche Nähe nicht entfalten will. Der Kulminationspunkt des Romans, die Vereinigung der Körper des aus der Stadt gekommenen Kutschers und der recht derben Haushälterin, ist folgerichtig auch nur ein Schattenspiel. In Anlehnung an Platons Höhlengleichnis wird der Ich-Erzähler Zeuge einer Choreographie der Lust, von der Küchenlampe auf den Boden des Hofes geworfen: "Nach einer Weile richtete sich der Schatten des Kutschers vom Schatten der Haushälterin auf, und auch der Schatten der Haushälterin richtete sich auf, und an den weiteren Bewegungen der Schatten sah ich, dass sowohl der Kutscher wie auch die Haushälterin den Tisch verließen und sich in die Tiefe der Küche hineinbegaben, wo mir ihr Vorhaben verborgen blieb."
"Der Schatten des Körpers des Kutschers", dieses Peter Weiss´sche Wortgewebe, dieser 1952 entstandene, erst 1960 publizierte Mikroroman ist ein surreal anmutendes Prosastück von stupender Modernität, es hat viele Autoren inspiriert und auch viele Nachahmer gefunden: es ist der deutsche nouveau roman.
Ursendung: 12.06.2010
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 21.03.2019
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