Ein entsprungener Zirkustiger erzählt in Günter Eichs Hörspiel von seinen Wandlungen unter den Menschen. Er befindet sich in tiefem Zweifel über die eigene Identität, da er doch jedesmal die Natur derer annahm, die er fraß oder in die er sich magisch hineinversetzte. Nicht genug damit, wird seine Krise noch verschärft durch diverse Eigenschaften der Menschen: Die Bestie spricht gleichzeitig aus verschiedenen Mündern, und so herrscht an Irrungen und Wirrungen kein Mangel. Wo am Ende der Tiger geblieben ist, muß jeder Hörer für sich selbst entscheiden.
Heinz Piontek schrieb über Eichs Hörspiel, u. v. a.:
´Verwirrung! Sie ist notwendig, sie soll diejenigen treffen, deren Denken sich eingleisig bewegt, deren Rechnungen immer glatt aufgehen und für die das Leben keine Geheimnisse hat. Jussuf führt uns das Rätselhafte der Existenz wieder vor Augen, die Fragwürdigkeit der Identität...´
Günter Eich, am 1.Februar 1907 in Lebus/Mark Brandenburg geboren, zog 1922 mit seiner Familie nach Leipzig, wo er am Nikolai-Gymnasium das Abitur machte. Er studierte Sinologie in Berlin und veröffentlichte - teils unter Pseudonym - ab 1927 erste Gedichte und Texte. 1932 brach er sein Studium ab und wurde freier Schriftsteller. Er begann, Hörspiele für verschiedene deutsche Rundfunkanstalten zu schreiben. Im 2. Weltkrieg diente er als Kraftfahrer und Funker bei der Luftwaffe. 1943 gingen bei einem Luftangriff auf Berlin fast alle seine Manuskripte verloren. Nach dem Krieg veröffentlichte er weiterhin Gedichte, Prosa, Drehbücher, vor allem aber Hörspiele. 1963 übersiedelte er nach Salzburg, wo er am 20. Dezember 1972 nach langjähriger Krankheit starb. 1952 bekam Eich für "Die Andere und ich" den "Hörspielpreis der Kriegsblinden", 1968 wurde er mit dem Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
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