Als 1971 der Tasaday-Stamm erstmalig ins Licht der Öffentlichkeit trat, glich dies einer weltweiten Sensation: Manuel Elizade, exzentrischer Millionärssohn und Kopf der Philippines Presidential Assistance on National Minorities (PANAMIN), verkündete die Entdeckung einer in Höhlen lebenden Gruppe von "Steinzeitmenschen" in einer bis dato unerforschten Region des philippinischen Regenwalds. Die Presse sprach von einer anthropologischen Jahrhundertentdeckung. Und als wenige Monate später die Zeitschrift National Geographic eine Titelgeschichte über die Tasaday veröffentlichte, wurde diese Ausgabe zur meistverkauften in der Geschichte des Blattes. Das Interesse war groß, doch PANAMIN, von nun an offizieller Protektionist der Tasaday, folgte dem launigen Reglement Elizades: Prominente, wie etwa Charles Lindbergh, Gina Lollobrigida und John Rockefeller IV, wurden spektakulär via Helikoptershuttle zu den Höhlenbewohnern geflogen, dem Großteil der Journalisten oder gar ernsthaften Wissenschaftlern blieb der Zutritt jedoch verwehrt. Die Aufdeckung des Schwindels sollte 1986 folgen: Nach dem Sturz der Marcos-Diktatur unternahm der Anthropologe Oswald Iten eine unautorisierte Expedition zu den Tasaday. Was er fand, waren verwaiste Höhlen. Die Stammesmitglieder, einst noch mit nichts als einem Lilienblatt bekleidet, posierten in Jeans und T-Shirt auf dem regionalen Wochenmarkt. Die Anthropologie als ernstzunehmende Wissenschaft befand sich in der Krise ... Dialoge zur Anthropologie oszilliert zwischen Hörspiel und Hörstück. Den narrativen Rahmen bildet die Geschichte der Entdeckung der Tasaday, sowie die Geschichte des darauf folgenden Anthropologenstreits. Kaleidoskop gleich werden Textbruchstücke und Zitate eingeblendet, welche sich jedoch in ihrer Abfolge einer stringenten Narration entziehen. Die Textcollage spiegelt die Vielstimmigkeit der damaligen Rezeption wider, bleibt abstrakt. Ausgangsmaterial hierzu sind Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen der Tasaday, welche von dem Linguisten Lawrence A. Reid in Lautschrift transkribiert und in die englische Sprache übersetzt worden sind. Reids Textdokumente werden spekulativ nachinszeniert, von diversen Text-To-Speech Programmen gesprochen, jedoch nicht in der englischen Übersetzung, sondern in der zuerst verfassten Lautschrift. Auch das im Hintergrund rauschende Dschungelszenario bleibt spekulativ und synthetisch. Klandestin ist die Lebenswelt der Tasaday. Sie entzieht sich dem romantisch- idealisierten, authentischen Naturparadies. Wind ist kein Wind, Vogelgesang kein Vogelgesang: Alles bleibt spekulativ und ist Synthese.
Jan Jelinek geboren 1971 in Bad Hersfeld, studierte 1993–1995 Jura an der Universität Frankfurt am Main, 1995–2001 Soziologie an der Technischen Universität Berlin und Philosophie an der Humboldt- Universität. 1998 erste Tonträgerveröffentlichung unter dem Pseudonym Farben. 2000 Soundcollage zur Beschallung des Young Media Pavillons und erste Livekonzerte unter dem Pseudonym Gramm. 2001 projektfördernde Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Künstlerin Sarah Morris, 2002 mit dem japanischen Musikerkollektiv "Computer Soup", 2003 mit dem deutschen Schriftsteller Thomas Meinecke und dem australischen Jazztrio Triosk, 2005 mit dem deutschen Videokünstler Karl Kliem, 2010 mit dem japanischen Vibraphonisten Masayoshi Fujita und dem kanadischen Choreographen Sylvain Émard. 2007 Gründung des Improvisationstrios (Groupshow) mit Hanno Leichtmann und Andrew Pekler. Seit 2008 diverse Tonträgerveröffentlichungen, Ausstellungen und Buchveröffentlichung der fiktiven Künstlerin Ursula Bogner. Für die Audiocollage "Kennen Sie Otahiti?" (SWR 2012) erhielt er den Karl-Sczuka-Förderpreis 2012.
Ursendung: 02.05.2014
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