⏰ 644 Min.
🎬 Regie:
Karl Bruckmaier
🛠 Bearbeitung:
Karl Bruckmaier
🎼 Musik:
David Grubbs
🎤 Mit:
Robert Stadlober,
Peter Fricke,
Rüdiger Vogler,
Michael Troger,
Helga Fellerer,
Ulrich Frank,
Paul Herwig,
Helmut Stange,
Christian Friedel,
Stephan Zinner,
Katharina Schubert,
Sabine Kastius,
Susanne-Marie Wrage,
Hanns Zischler,
Jochen Striebeck,
Wolfgang Hinze,
Jule Ronstedt
Die Ästhetik des Widerstands, das in den Jahren von 1971 bis 1981 entstandene erzählerische Hauptwerk des Schriftstellers Peter Weiss, gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Romanen der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Im Zentrum des fast eintausend Seiten umfassenden Triptychons, das die Geschichte des Scheiterns sozialistischer Ideale und Kämpfe und das Ausgeliefertsein des Individuums in totalitären Zeiten abbildet, steht die Person eines fiktiven deutschen Widerstandskämpfers. Dieser Ich-Erzähler verlässt als Jugendlicher 1937 Berlin und gelangt über die Tschechoslowakei, Spanien und Paris nach Schweden. Da wie dort wird er Zeuge der Widerstandskämpfe gegen Nazideutschland und der Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei. "Wer ist dieses Ich? Ich selbst bin es." Der namenlose Protagonist ist in vielen Details dem Autor nachgebildet. Er gibt Weiss Gelegenheit, durch seine literarische Trauer- und Erinnerungsarbeit eine sprachmächtige Aufarbeitung eines historisch entscheidenden Jahrzehnts in der Auseinandersetzung der Ideologien zu liefern.
Am Ende steht der Fall des Faschismus, gleichzeitig entwerten sich aber auch die Utopien der europäischen Linken im sowjetischen Personenkult und in der weltanschaulichen Zerrissenheit der Arbeiterparteien. Darüber hinaus arbeitet sich Weiss auch an der für ihn persönlich relevanten Hauptfrage ab, inwieweit politische Notwendigkeit und individuelle Erkenntnis über ästhetische Zusammenhänge miteinander zur Deckung gebracht werden können – auch hier gelingt dem Autor eine bittere Synthese aus Kunsttheorie und Realitätsanspruch: Der Ich- Erzähler und seine Gefährten entwickeln nicht nur über politische Erörterungen und Einschätzungen, sondern ebenso über Lektüren und gemeinsame Kunstbetrachtung eine Art kollektive Weltsicht. Durch die Reflexion seines politischen Tuns wie durch die Deutung großer Kunstwerke erfindet sich der Erzähler im Roman eine eigene Position als geistiger Arbeiter, als freier Schriftsteller, der sich aber aus ebenso freien Stücken der Disziplin einer Kaderpartei unterwirft:
"Für den Ruf nach totaler Zertrümmerung der Kunst hatten wir nichts übrig, solche Parolen konnten sich diejenigen leisten, die übersättigt waren von Bildung."
Zu seinem Romanprojekt betrieb Peter Weiss intensive historische Recherchen, um dem entstehenden Werk "breiteste Realität zu geben". Neben der Hauptperson begegnet der Leser Figuren wie Willi Münzenberg oder Herbert Wehner und den Mitgliedern der Widerstandsorganisation um Harro Schulze-Boysen (‚Rote Kapelle‘). "Ich benutzte die authentischen Namen im Roman als Chiffren", notierte Peter Weiss dazu. Eine dieser Chiffren ist Bert Brecht. Auf ihn und seine Mitarbeiter stößt der Ich-Erzähler im schwedischen Exil. Weiss beschreibt die Antagonismen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in Deutschland, Spanien, Schweden und im französischen Exil, denen groß angelegte Ausdeutungen von Gemälden (Picassos Guernica) und Romanen (Kafkas Das Schloss) gegenüberstehen. In den grob zehn Jahren (1937 bis 1947), die der Roman umfasst, bekämpften zwei totalitäre Systeme – Faschismus und Kommunismus – sich selbst und die Menschheit aufs Grimmigste und Rücksichtsloseste. Im Namen einer pervertierten Vernunft und Wissenschaftlichkeit wurde mehr gemordet als je in der Geschichte zuvor im Namen einer Religion oder metaphysischen Idee – und dies aus dem Herzen des zivilisierten Europa heraus.
Zur Sendung gibt es ein Feature des BR:
Den Namenlosen einen Namen geben. Peter Weiss´ Projekt einer Ästhetik des Widerstands
von Jörg Drews
Realisation: Jörg Drews / Christina Hänsel
BR 2007
ca. 54 Min.
Mit Jörg Drews und Detlef Kügow
Mit dem 1.000 Seiten umfassenden Roman Die Ästhetik des Widerstands krönte Peter Weiss seine Laufbahn als deutschsprachiger Autor und politischer Schriftsteller. Erst spät, 1960, war Weiss – 1916 bei Potsdam geboren – nach Schreibversuchen in der Sprache seines schwedischen Exils in die deutsche Literatur zurückgekehrt und hatte die geradezu sensationell wirkende hermetische Miniatur Der Schatten des Körpers des Kutschers veröffentlicht, öffnete dann aber seinen Horizont und schulterte eine Aufgabe, die ihm politisch wie literarisch verpflichtend schien: Den unzähligen namenlosen Opfern Hitlers und Stalins einen Namen zu geben und die Geschichte des Untergangs der deutschen Arbeiterbewegung in den Jahren von 1937 bis 1947 zu erzählen. Die Ästhetik des Widerstands, erschienen in drei Bänden zwischen 1975 und 1981, berichtet, stellvertretend für die Vielen über eine kleine Gruppe von Menschen – politische Kämpfer und Opfer –, von welchen einige wenigstens die mörderischen Ereignisse jenes Jahrzehnts zu überstehen und dabei ihre politisch-moralische Aufgabe zu retten versuchen.
Jörg Drews (1938–2009), Literaturwissenschaftler und -kritiker. Weitere Essaysendungen für den BR I komm‘ vielleicht a bisserl langsamer zum Kern... – Essay zu den Hörspielarbeiten von Paul Wühr (1997), Arno Schmidt fürs Ohr (1998).
Peter Weiss, geb. 08. November 1916 in Nowawes bei Berlin (heute Neubabelsberg), gest. 1982 in Stockholm. Schriftsteller, Maler. Aufgewachsen in Berlin und Bremen. 1935 Emigration nach England. 1936 Emigration nach Prag. 1937 Kontakt mit Hermann Hesse, dem er Bilder und Manuskripte zur Begutachtung zusendet. Studium an der Prager Kunstakademie. 1938/1939 Emigration über die Schweiz nach Schweden, wo sein Vater den Neuaufbau einer Textilfabrik übernommen hat. 1941 erste schwedische Bilderausstellung in Stockholm. 1944 Umzug nach Stockholm. Ab 1946 Prosaarbeiten. Schwedische Staatsbürgerschaft. 1952–60 Realisation mehrerer Dokumentar- und Experimentalfilme. Ab 1960 Buchveröffentlichungen im Suhrkamp- Verlag. 1963 Beginn der Arbeit am Theaterstück Marat/Sade. Von 1964–71 zahlreiche politische Dramen und theoretische Schriften. Aufführungen an internationalen Bühnen. 1972–81 Arbeit an dem trilogischen Romanwerk Die Ästhetik des Widerstands. Auszeichnungen, u. v. a. Lessingpreis der Hansestadt Hamburg (1965), Thomas-Dehler- Preis (1978), Georg-Büchner-Preis (1982 - postum).
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 25.12.2014
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