Wenn Samuel Beckett schreiben wollte, zog er sich in sein kleines Landhaus in Ussy-sur-Marne zurück. Hier entstanden viele seiner Meisterwerke. Doch nicht immer ging ihm die Feder leicht von der Hand, in seinem Schreib- Refugium wurde er auch immer wieder von Schreibhemmungen heimgesucht.
Ein neunmonatiges Stipendium soll es einem jungen Mann ermöglichen, einen Essay über Becketts Schreibort in der französischen Provinz zu verfassen. Ein Anfang ist schnell gefunden, bald aber versiegt auch ihm das Schreiben, als im Haus gegenüber ein Tubist einzieht und beginnt, sein tägliches Übungspensum zu absolvieren. Es ist zum Verzweifeln, zum Lachen, zum Heulen - aber nicht zum Schreiben! Oder doch? Doch gerade?
Wie mag es Beckett ergangen sein, als sein Nachbar, Monsieur Horviller, eine Jagdhütte vor seinem Garten baute und Beckett fortan Schüsse hörte? "Die Störung war das Gefürchtete und Gesuchte zu gleichen Teilen." Denn der Tubist bringt mit seinem sperrigen Instrument noch weit mehr zum Schwingen als die Nerven des Essayisten: Immer tiefer wird dieser in seine Kindheit zurückversetzt, in der ein musizierender Vater nichts mehr fürchtete, als von seinem Sohn gestört zu werden.
Doch am Ende scheint die Störung gar zum notwendigen Begleiter seines Tages geworden sein. Keine Schöpfung ohne Störung also? Der Stipendiat jedenfalls freundet sich an mit der Störung, er spürt den Wert des Nicht- Schreiben-Könnens als Widerstand, an dem ein Werk reifen kann.
Rainer Wieczorek wurde 1956 in Darmstadt geboren und lebt dort mit seiner Familie. Seit 1992 ist er Lehrer am Gymnasium. Von 1995 bis 2009 übernahm er gemeinsam mit Andreas Müller die Programmleitung des Darmstädter Literaturhauses. Für seine Erzählungen erhielt er 1997 den Lichtenberg-Preis für Literatur. Die "Tuba-Novelle" ist der zweite Band einer Trilogie von Künstlernovellen.
Vorstellung im OhrCast
Ursendung: 08.12.2013
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 08.04.2024
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