Die Straße. Die Stadt. Der Überfall
Wer in München durch die Maximilianstraße flaniert, begegnet ausgestelltem Luxus, Selbstinszenierung und einer Welt der Mode, die sich selbst zu feiern weiß. Es herrscht das Diktat des schönen Scheins, das Schimmern der Fassaden, deren vorgebliche Einmaligkeit heute jedoch oft nur noch ein Abglanz vergangener Zeiten ist. Identitätsstiftende Originale wie der Modezar Rudolph Mooshammer sind verschwunden – auch wenn er in Jelineks Text als Untoter sein Unwesen treibt – und wurden abgelöst von global agierenden Labels, geleitet von Designern, die längst nicht mehr sie selbst sind. Ein Zersetzungsprozess hat begonnen, der auch den Einzelnen erfasst, und vielleicht ist ja sogar die Stadt, in der die Straße liegt, bloß eine Schimäre – obwohl sie nach eigener Auskunft leuchtet. Elfriede Jelinek flaniert in Die Straße. Die Stadt. Der Überfall. durch das Münchner Passagenwerk und verwebt Schilderungen der Modemeile, Anspielungen auf Geschichte und aktuelle Ereignisse der Stadt sowie zahlreiche mythologische Motive zu einem Text, in dessen stimmlicher und akustischer Vielschichtigkeit nicht zuletzt immer wieder die Stimme der Autorin aufzutauchen scheint.
"Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Menschen in einem Chanel-Kostüm gesehen, außer mich selbst, zur Hälfte, denn ich habe im Ausverkauf einmal eine Chanel-Jacke gekauft, das erste Hauptstück meiner Vermummung. Ich habe diese Jacke einmal zu einer Versammlung der Kommunistischen Partei getragen, doch diese Menschen lassen sich nicht einmal von Millionen Toten provozieren, wie also von einer einzigen kleinen Jacke? Hab mich gefreut wie eine Schneekönigin, da ich die Herkunft von Herrschaft begriffen hatte und diese natürlich sofort ausüben wollte, wenn auch unmerklich, denn die unmerkliche ist die wahre Herrschaft. Das ist damals alles verpufft, obwohl Provokation auf dieser Textilbombe draufgeschrieben stand, mit so goldenen Knöpfen, in Blindenschrift, explodiert in einem unmerklichen Verpuffungsvorgang, weil die Kommunisten vielleicht schon gehört haben, daß es Chanel gibt, sie würden es auch erkennen, wenn sie es sehen, das Chanel-Kostüm, allerdings nur dann, wenn es wirklich aussieht wie ein Chanel-Kostüm, notfalls auch an der falschen Person, denn das berühmte rosa Chanel-Kostüm Jackie Kennedys war nicht echt, mein Anteil am Kostüm schon, ihres nicht!"
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