Zwei Minuten Stille im Radio, ihre Vorgeschichte und ihre Folgen. Vielleicht waren es auch drei Minuten, jedenfalls war es pünktlich 9 Uhr morgens und manche HörerInnen erwarteten die Nachrichten. Heute würden sie den Sender wechseln oder ins Netz gehen, aber es ist 1990 und in Deutschland gibt es gerade mal einen Privatsender und wenig im Netz. Konnte deshalb die Nachricht, dass es keine Nachrichten gab, eine Nachricht werden? Ja, aber nicht allein. Dazu gehört das Zusammenspiel zwischen den Erwartungshaltungen der Hörer, dem Selbstbild des Senders und nicht zuletzt der Berufsethik eines Nachrichtensprechers. "Heute ist Mittwoch der 10. Dezember" sagten am Tag der Aufnahme des Hörspiels zahlreiche Nachrichtensprecher zu Beginn ihrer Sendungen. Das sagen sie so. Gertrude Stein sagt, "die Irländerin kann sagen, dass heute jeder Tag ist, Caesar kann sagen, dass jeder Tag heute ist und sie sagen, jeder Tag ist wie sie sagen." Sagen wir so, der 10.Dezember ist der 13. September, besonders wenn nichts gesagt wird. "München. Sprecher schlief ein, keine Nachrichten im Bayerischen Rundfunk. Der Vater eines 2jährigen Kindes habe eine unruhige Nacht gehabt, da der Nachwuchs an einer fiebrigen Erkältung leide und mehrfach aufgewacht sei." (dpa-Meldung vom13.9.1990)
Mit seinem neuen Hörspiel führt Eran Schaerf seine Auseinandersetzung mit den medialen Konstitutionen des Rundfunks fort. Bereits in seiner als Hörspiel des Jahres 2002 ausgezeichneten BR-Produktion "Die Stimme des Hörers" entwickelt er ein selbstreflexives Spiel mit dem Medium, indem er einen ortlosen automatischen Moderator einsetzt, der Höreranrufe sowie Sendematerial von Fremdstationen wiedergibt. Dabei führt er den Hörer durch den Frequenzwechsel zwischen Manipulation, Fiktion und Realität und eröffnet ihm den Raum für die irritierende Ungewissheit dazwischen. Damit entwickelt "Die Stimme des Hörers" eine Reflexion der eigenen Hörgewohnheiten und medialen Inszenierungen von Öffentlichkeit. Der automatische Moderator erhält seine Stimme von dem Nachrichtensprecher Peter Veit, der auch in Schaerfs folgenden hörspielästhetischen Verhandlungen des Radios immer wieder zu hören ist. So in "Sie hörten Nachrichten" (BR 2005), in dem die Wirklichkeit zu einer Montage von Möglichkeiten wird, um die Grenzen der Genres – der Nachrichten und des Hörspiels, der Wirklichkeit und der Fiktion – auszudehnen. Auch in Schaerfs Nachrichten-Hörspiel "Nichts wie Jetzt" (BR 2009) hat Peter Veit eine Rolle übernommen. Mit "Heute ist Mittwoch der 10. Dezember" machen sich Eran Schaerf und Peter Veit daran, ausbleibende Nachrichten und ihre Kontextualisierungen wieder zu erzählen, wieder aufzuführen, wieder auszustrahlen.
Eran Schaerf, geb. 1962 in Tel Aviv. Künstler. Seit 2008 Dozent für künstlerische Praxis an der Zürcher Hochschule der Künste. Seit 1997 Filme und Hörspiele mit Eva Meyer, u. v. a. Europa von weitem (BR 1999), Flashforward (BR 2004).
hoerspielTIPPs.net:«Kann man über eine zwar originelle, aber letztlich auch einfache Radiopanne, ein formatfüllends Hörspiel erstellen? Eran Schaerf scheint es zu können, denn ihm gelingt es, in einer Art Feature den Ausfall des Peter Veit, der als Nachrichtensprecher die 9 Uhr-Nachrichten einfach verschlief, recht ansprechend darzustellen. Obwohl es auf den ersten Blick eine überschaubare Sequenz ist, ist die detaillierte Schilderung der Ereignisse - und insbesondere der Folgen - recht interessant, aber auch zum Teil amüsant.
Die Ereignisse werden von Peter Veit selbst geschildert, der, trotzdem die Ereignisse fast zwanzig Jahre zurückliegen, von dieser Panne sehr ergriffen wirkt, andererseits mit der nun als langjähriger Moderator und Nachrichtensprecher versehen Professionalität darüber berichten kann.
"Heute ist Mittwoch der 10. Dezember" ist ein Hörspiel, das durchaus interessanter ist, als man es auf den ersten Blick vermuten würde. Ich habe mich zu keiner Minute gelangweilt.»
📥
Link zum Download
...