Jeder hatte mal einen, jeder kann (schlecht) über sie mitreden, keine Berufsgruppe scheint besser be- und verkannt: Lehrer stehen von vornherein unter Generalverdacht. Als Beamtenstatusnutznießer mit zu viel Ferienzeit und Sicherheit. Als fantasielose Lehrplandurchpeitscher. Als staatlich genormte Routinemenschen. Dabei kann ihre Bedeutung für unsere Gesellschaft gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: Lehrer sind buchstäblich Grundausbilder, Trainer im Basiscamp für die Zukunft, sie liefern unseren Kindern das Rüstzeug fürs Leben. "Das oberste Bildungsziel ist der mündige Mensch", so steht es in den Schulordnungen. Das große Ideal: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir...
Die Realität sieht leider anders aus. Nicht etwa, weil die Lehrer alle so katastrophal wären, sondern weil der "Apparat Schule" so viel Angst, Konkurrenz und Druck erzeugt. Ausgerechnet der Ort, an dem die Generation Zukunft das Denken lernen soll, erscheint in seinen Strukturen bürokratischer und rückständiger als jeder andere Betrieb. Die vier Lehrer, die in Ich Wir Ihr Sie zu Wort kommen, geben Einblick nicht nur in das Schulsystem, sondern auch in ihr Seelenleben: Was Schule mit einem macht. Welche Ängste und Reflexe sie erzeugt.
Aus Interviews mit gut einem Dutzend Lehrern und Lehrerinnen hat Inga Helfrich vier Prototypen herausgeschält. Da ist die Junge, der es wichtig ist, von den Schülern gemocht zu werden. Dann die Mittvierzigerin, die sich als "Alleinunternehmerin" fühlt und manchmal schier verzweifelt an der Kluft zwischen Anspruch und Pflicht-Wirklichkeit. Die 62-Jährige wiederum, die schon immer "was mit Kindern machen" wollte, zieht den Job jetzt "professionell" durch bis zur Rente. Und der Alt-68er, dem das Ideal vom "pädagogischen Eros" noch nicht abhandengekommen ist, hat nach all den Jahren im Beruf noch immer ein "mulmiges Gefühl", wenn er morgens in die Schule radelt. Sie alle erzählen von Selbstzweifeln, Deformationen, Ticks. Von Träumen – sofern sie noch welche haben – und den Zumutungen des Systems. Von der Herausforderung, Lehrer zu sein. Vom oft betriebsblinden Dahinstrampeln. Von dem Dreieck, das Lehrer, Schüler und Eltern bilden. Ein Dreieck, das im besseren Fall eine Zweckgemeinschaft, im schlimmeren Fall eine Zwangsgemeinschaft sein kann, in der immer die anderen Schuld an den Missständen haben. Und doch blitzt in den Aussagen der Lehrer immer wieder Hoffnung auf: in der Reflektion der eigenen Rolle, im Annehmen von Verantwortung, in der Suche nach Solidarität.
Inga Helfrich, geb. 1966 in Riga, Lettland, Regisseurin, Autorin, Schauspielcoach. 1987–91 Therapeutin an einer Fachklinik für Psychosomatik, 1993–97 Regieassistentin an den Münchner Kammerspielen und bei den Salzburger Festspielen, 1996–2004 Schauspieldozentin an der Bayerischen Theaterakademie München, seit 1997 freie Regisseurin, seit 2001 Entwicklung eigener Stücke, u. v. a. I will survive (2001), Die Deutsche Mutter (2008), Neue Heimat (2010).
Als Download / Im Handel verfügbar seit / ab: 13.06.2019
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