Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders
""Das Wunder ist eine Frage des Trainings" so lautet die Devise, der sich ein Zirkel aus grotesken Figuren in Carl Einsteins Roman "Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders" verschrieben hat. "So lange dem Unmöglichen ins Angesicht schauen, bis es eine leichte Angelegenheit wird", das ist das Ziel einer skurrilen Gesellschaft, die der bloßen Rationalität eine Absage erteilt. Sie lässt nicht nur eine Logik gelten, ersehnt die Vervielfältigung der Wirklichkeit und hat sich dem Prinzip des Dynamischen unterworfen. All dies vor dem Hintergrund des Todes, der sich in Form billiger Erstarrnis bereits im Leben ereignen kann, als existenzielle Irrationalität aber auch zur sehnsuchtsvollen Projektion wird. Da ist Giorgio Bebuquin, Philosoph, Künstler und unproduktiver Narziss, der im Akt der Selbstbespiegelung weder zum Genuss noch zur Tat kommt. Da ist der Untote Nebukadnezar Böhm mit versilberter Hirnschale, in der sich seine Umwelt spiegeln kann, der die Kunst des Genießens sehr gut beherrscht und leidenschaftlich von den Reizen des Unwirklichen zu sprechen weiß. Ihm und den Versuchungen des Phantastischen verfällt die Bardame und Zirkuskünstlerin Fräulein Euphemia, eine irrwitzige Reinkarnation der Muttergottes, hat sie doch ein Kind geboren, dessen Vater sie nicht kennt und das schon nach der Geburt der Welt entsagt hat. Es sind allesamt dilettantische Wunder-Sucher, die der Autor und Kunstkritiker Carl Einstein in seinem 1912 in der expressionistischen Zeitschrift "Die Aktion" erstmals abgedruckten "Anti-Roman" versammelt. Ob im Café, in der Bar, im Bordell, im Zirkus oder im Kloster präsentieren die 19 Kapitel des Textes schlaglichtartig phantastische Szenen ohne klare Handlung oder eindeutige Charaktere. Vielmehr wird in einer energetischen Mischung aus Erzählung, Dialog, Lyrik, Pamphlet, Predigt oder Gebet die Überwindung von Vernunft, Gleichgewicht, Symmetrie und Einheit als Möglichkeit eines anderen Denkens und der Befreiung der Empfindungen heraufbeschworen. Eine Idee, mit der sich Carl Einstein und die Künstlerkreise seiner Zeit vor der Folie einer Mechanisierung der Welt und des Verlustes spontaner Erfahrung identifizierten. Analog zur kubistischen Malerei provoziert der Text thematisch und formal andere Blicke auf die Welt, vermischt ohne Scheu zahlreiche Topoi aus Religion und Philosophie und rüttelt dabei auch an den Grenzen der Sprache: als explizite Sprachkritik, als Zitation oder Parodie naturwissenschaftlicher Diktion, religiöser Sprechformen, philosophischer Exkurse oder künstlerischer Traktate. Damit beeinflusste Einsteins Text Expressionisten und Dadaisten genauso, wie er für diese zur Reibungsfläche wurde. In der Hörspielproduktion des Bayerischen Rundfunks, die eine akustische Umsetzung des ungekürzten Erstdrucks von 1912 ist, erscheint das Sprachgeschehen der Vorlage als ein Pendeln zwischen zwei Stimmen, als zersetzende Dialogisierung losgelöst von den ursprünglichen Dialogen, als lustvolle Inszenierung maßloser Gedankenspiele."
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